Alle Länder setzen auf Masken im Kampf gegen das Virus. Beweise für den Nutzen gibt es nach wie vor nicht. Dennoch ist auch die Wissenschaft dafür. Warum?
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Ende März hat die Regierung die Maskenpflicht beschlossen. Anfangs galt sie nur für den Supermarkt, aber viel mehr öffentliches Leben war ja damals auch nicht möglich. Das ist nun anders, und am Freitag werden sogar Lokale wieder aufsperren. Dort ist die Maske für Beschäftigte vorgeschrieben, für Gäste nicht. Man müsste Schweinsbraten und Pizza wohl sonst fein pürieren. Sehr wohl muss man jedoch beim Eintreten ins Lokal die Maske noch aufhaben, der Weg zum Klo wurde wieder aus der Pflicht ausgenommen.
Auch in Sachen Mund-Nasen-Schutz geht die österreichische Regierung den Weg der Verordnungen, nicht jenen der Empfehlungen. Und sie war früh dran. Nur Tschechien und die Slowakei hatten in Europa noch davor eine Maskenpflicht beschlossen. Die Wissenschaft war damals skeptisch bis sogar ablehnend, die Zahl der Studien sehr rar.
Nur wenige Tage, nachdem Kanzler Sebastian Kurz die Maskenpflicht verkündet hatte, wurde aber eine Arbeit aus Hongkong in der renommierten Fachzeitschrift "Nature" publiziert. Sie schien den Kanzler zu bestätigen. "Die Resultate zeigen, dass OP-Masken die Übertragung von Coronaviren und Influenza verhindern könnten", heißt es in der Studie. Die Kritik verstummte, Kurz sagte in einem "ZiB 2"-Interview: "Ich habe Gott sei Dank all jenen nicht geglaubt, die gesagt haben, Masken bringen gar nichts, weil sich das als falsch herausgestellt hat." Der Mund-Nasen-Schutz ist seither gemeinsam mit den Abstandsregeln eine der wichtigsten Maßnahmen in der Epidemiebekämpfung.
Rund 40 Studien zu Masken in WHO-Datenbank
Doch wie sieht die wissenschaftliche Datenlage heute, mehr als einen Monat später aus? Eine Studie macht in der Wissenschaft bekanntlich noch keine Tatsache. In der Datenbank der Weltgesundheitsorganisation WHO, in der bereits mehr als 16.000 Studien und wissenschaftliche Artikel in Fachmagazinen zum neuartigen Coronavirus aufgelistet sind, finden sich auch rund 40 Arbeiten zu der Frage, ob das Tragen von Masken der breiten Bevölkerung empfohlen oder sogar verordnet werden soll.
Anders als es die Politik, auch in Österreich, darstellt, sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu dieser Frage aber keineswegs eindeutig. Beweise, dass Masken eine signifikante Rolle in der Epidemiebekämpfung spielen, gibt es nicht, es sind Hinweise, Erfahrungen und Beobachtungen. Eine machten chinesische Forscher bei einem Infizierten aus Chongqing, der zwei Stunden ohne Maske in einem Bus mit 39 anderen Passagieren saß. Dann stieg er um, kaufte eine Maske und fuhr in einem Minibus und 14 Personen 50 Minuten weiter. Aus dem ersten Bus infizierten sich fünf, aus dem zweiten, mit Maske, keiner. Das kann aber auch Zufall sein. Oder lag es an der Dauer?
Die Tendenz der Arbeiten geht aber schon klar in die Richtung, dass eine breite Verwendung von OP- und Stoffmasken einen Beitrag leisten kann. Denn, im Gegensatz zu anderen Viren, ist bei Sars-CoV-2 der Anteil asymptomatischer Virenträger hoch. Umso leichter kann sich das Virus verbreiten. Ein Artikel internationaler Forscher im "BMJ", an dem auch Thomas Czypionka vom IHS in Wien mitgeschrieben hat, kommt auch zum Schluss, dass Masken "simpel, günstig und potenziell effektiv" sind. "Die Suche nach dem perfekten Beweis könnte der Feind der guten Strategie sein." In diese Richtung gehen auch die Empfehlungen des deutschen Robert-Koch-Instituts sowie eine Publikation des europäischen Seuchendienstes ECDC.
Masken sind primär ein Bakterienschutz
Die einfachen Masken, die nicht umsonst OP-Masken heißen, sind bisher vor allem im Spital zum Einsatz gekommen. Allerdings, und das ist zum Verständnis der Skepsis vieler Fachleute wichtig, nicht als Virenbremse, sondern primär als Schutz vor Bakterien, die an Hautschuppen oder im Bart sitzen. "Die Masken sollen davor schützen, dass bei einer Operation etwas in die Wunde rieselt", sagt Miranda Suchomel, Leiterin des Instituts für Hygiene der MedUni Wien.
Die auch vom Kanzler Kurz angeführte Studie hat das Denken beim Thema Maske verändert, die Forscher hatten jedoch andere, harmlose Coronaviren abgetestet, nicht den Sars-CoV-2-Erreger. Und Laborversuche sind oft auch nur bedingt auf die Realität zu übertragen. Und manchmal widersprechen sie sich auch. Bei einem Versuch mit vier Covid-Patienten in Südkorea, die man mit und ohne Masken husten ließ, fanden die Forscher nämlich keinen nennenswerten Schutz. Allerdings war die Petrischale, in die gehustet wurde, nur 20 Zentimeter entfernt, also nicht sehr praxisnahe. Und die Studie hatte auch andere Schwächen. Interessant war aber, dass sich an der Außenseite der Maske viele Viren befanden. Das ist doch ein Hinweis, dass beim Absetzen der Maske besondere Vorsicht geboten ist. Doch dazu später mehr.
Gewöhnliche OP-Masken nur "Spuckschutz"
Unstrittig ist, dass die einfachen Masken keinen Eigenschutz bieten. "Sie sind ein Spuckschutz", sagt Hygienikerin Suchomel. Bei einer Tröpfcheninfektion wie bei Sars-CoV-2 ist dieser Nutzen der Masken daher plausibel, auch wenn es keinen vollständigen Schutz gibt. "Aber auch, wenn die Maske die Infektion nicht verhindert, kann die Reduktion der Menge freigesetzter Erreger dazu führen, dass die Krankheit nur mild verläuft", heißt es in einer Studie der Nanjing University in China.
Ob Ansteckungen über Atemluft von Relevanz sind, ist noch Gegenstand der Forschung. Die Epidemiologin Daniela Schmid von der Gesundheitsagentur Ages geht davon aus, dass dieser Übertragungsweg keine große Rolle spielt, der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité sieht das anders, glaubt an 50 Prozent Ansteckungen durch Aerosole, beruft sich dabei jedoch auch nur auf sein "Bauchgefühl". Normale Masken könnten hier aber ohnehin keinen Beitrag leisten, sondern nur spezielle FFP-Masken, die besonders dicht sind, aber mit denen sich auch nicht sehr gut atmen lässt.
Diese Spezialmasken werden für den Einsatz in der breiten Bevölkerung generell abgelehnt, da sie in den Covid-Stationen benötigt werden. Es war eine der zentralen Befürchtungen der Fachleute, dass es zu Engpässen in Krankenhäusern kommt. Mögliche negative Auswirkungen wie diese werden auch in Studien besprochen. Wenn eine infizierte Ärztin an nicht genügend Masken kommt, weil gesunde Menschen diese daheim horten, dann ist der potenzielle Schaden sehr groß. Ein anderer Punkt ist die Sorge, dass die Maske ein Sicherheitsgefühl verleiht und deshalb auf das Abstandhalten vergessen wird.
Wenig findet man in der wissenschaftlichen Literatur zu den möglichen direkten negativen Folgen durch kontaminierte Masken und eine falsche Anwendung. Im "Lancet" ist eine Untersuchung aus Hongkong zu lesen, wonach 13 Prozent den Mundschutz falsch tragen. Rund 76 Prozent verwendeten die Maske mehrfach, obwohl es sich fast ausschließlich um Einmal-Masken handelte.
Virenschutz als Bakterienschleuder
Dieser Punkt wird mit mehr Sozialleben auch in Österreich wichtiger werden. Miranda Suchomel gibt sich "fassungslos", wie die Masken teilweise getragen werden. Je öfter sie auf- und wieder abgesetzt werden, desto größer ist auch die Gefahr, dass Viren an den Händen haften. "Die abgenommenen Masken sind wie gebrauchte Taschentücher", sagt sie. Und Taschentücher ziehen wir uns in der Regel auch nicht unters Kinn. "Schmiereninfektion könnte dadurch eine größere Rolle spielen", sagt die Hygienikerin, da die Menschen ständig gewissermaßen ins "Taschentuch" greifen. Umso wichtiger ist die Händehygiene. Ein weiterer Punkt: Durchfeuchtete Masken verlieren ihre Wirkung, man sollte sie also möglichst kurz aufhaben. Also besser nur in der U-Bahn als am Weg zur U-Bahn, da sie sonst weniger Schutz bieten.
In den kommenden Wochen wird die Handhabe der Masken in der Realität, in Lokalen, Büros und Geschäften, zu evaluieren sein. Auch wenn praktisch in allen Ländern Masken von jedermann getragen werden, gibt es Unterschiede, in Deutschland sogar von Bundesland zu Bundesland. In Öffentlichen Verkehrsmitteln ist die Maske aber überall vorgeschrieben, in der Slowakei sogar auf der Straße.
Die Theorie in Verordnungen weicht zudem mitunter von der Sinnhaftigkeit in der Realität ab. Zumal "Taschentücher" vor dem Gesicht auch ein anderes Risiko bergen, wie Hygienikerin Suchomel sagt. Feuchte Masken können nämlich schimmeln, es können sich Pilze bilden und Bakterien, die man dann in die Lunge atmet. Der vermeintliche Virenschutz würde in diesen Fällen zur Bakterienschleuder werden. Allerdings: Es könnte das kleinere Übel sein.