Emmanuel Macron und der Protest der "Gelben Westen".
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Zum vierten Mal in Folge gingen die "Gelbwesten" vergangenen Samstag in weiten Teilen Frankreichs auf die Straße. Wie immer, wenn in der revolutionären Nation eine aufgebrachte Masse ihrem Ärger Luft macht, brannten Autos. Und wie so oft gab es Verletzte, Verhaftungen und Vandalismus.
Dass ein Haufen Entrüsteter sich nicht von seiner galanten Seite zeigt, liegt in der Natur der Sache. Umso zynischer ist es daher, die "Gelbwesten" - wie Erhard Fürst vor wenigen Tagen - als "gefährliche Spezies" zu brandmarken. Vor allem, da Präsident Emmanuel Macron am Montagabend in einer erstaunlich selbstkritischen Rede Zugeständnisse ankündigte - und uns damit etwas ganz anderes sagt.
Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, ist bekannt: die ökologisch gerechtfertigte Steuererhöhung auf Benzin und Diesel. Das Signal war hochexplosiv: Der Klimaschutz ist Sache der kleinen Leute, die auf ihr Auto angewiesen sind - und das just im ländlichen Raum, der vom anachronistischen Zentralismus der Grande Nation seit Jahrzehnten strukturell vernachlässigt wird. Am verhängnisvollsten aber erwies sich Macrons Entscheidung, die Vermögenssteuer zu streichen und durch eine Immobiliensteuer zu ersetzen. Das Kalkül des ehemaligen Investmentbankers war, die Reichen wieder zurück nach Frankreich zu locken, sie zu Investitionen zu animieren und dadurch Arbeitsplätze zu schaffen. In seiner Zeit bei Rothschild & Cie. muss er also entweder gelernt haben, wie Banker einen Haufen Jobs schaffen, oder aber er ist als Präsident bis heute ein Naivling, der für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit - aus was für Gründen auch immer - auf die Güte der wirtschaftlichen Elite setzt.
Fest steht: An diesen Trickle-down-Effekt glauben bis heute in Frankreich die wenigsten. Ganz einfach, weil ihn niemand zu spüren bekommt. Doch dass der Weg zur Arbeit mit dem Auto plötzlich teurer wird, der Mindestlohn (knapp 1200 Euro netto) zum Leben kaum reicht, die ohnehin geringen Pensionen unverhältnismäßig hoch besteuert werden - das spürt jeder Betroffene spätestens am Monatsende. Und dass die Superreichen dabei mit unverbindlichen, ja geradezu schmeichelhaften Erwartungshaltungen (nicht nur steuerlich) hofiert werden, macht es nicht besser. Es ist diese sozialpolitisch zutiefst verfahrene Gemengelage, die den Aufstand der "Gelbwesten" so breit und bedrohlich macht.
Die Zeichen der Zeit scheint der historisch versierte Macron zu erkennen: So ließ er verkünden, dass die Steuererhöhungen auf Treibstoff für das gesamte Jahr 2019 ausgesetzt werden. Am Montagabend versprach er außerdem in einer 13-minütigen Rede, die im Vorfeld als die wichtigste seiner Amtszeit bezeichnet wurde, erste Zugeständnisse: Der Brutto-Mindestlohn wird um 100 Euro erhöht, Überstunden werden von Steuern und Sozialabgaben befreit. Ob das jedoch im Sinn aller "Gelbwesten" ist, sei dahingestellt. Denn die Erhöhung des Mindestlohns bezahlen nicht die Unternehmen, sondern die Staatskasse - während die steuerliche Befreiung der Überstunden wiederum im Sozialversicherungssystem fehlen wird. Eine undurchdachte Notwendigkeit also, vorgetragen mit der nötigen Prise ach so rührender Einsicht ("Ich weiß, dass es vorgekommen ist, dass ich einige verletzt habe"), die ihn als Geläuterten erscheinen lässt.
Aber werden wir nicht zynisch. Denn eines ist bemerkenswert: Macron möchte seine Zugeständnisse unter dem Slogan eines "sozialen und wirtschaftlichen Ausnahmezustands" verstanden wissen. Vielleicht hat er endlich verstanden, wo die Franzosen auf der Straße der Schuh drückt. Und das hat nichts, rein gar nichts mit einer "gefährlichen Spezies" zu tun. Sondern mit der bitteren Wahrheit, die offenbar erst mit brennenden Autos, Verhaftungen und Vandalismus zum Präsidenten durchgedrungen ist.