Die Medien hatten große Probleme, für das Blutbad von Norwegen das rechte Fach zu finden. | 9/11 hat über Nacht das Monopol für Terroranalysen eingebüßt.
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Der riesige Skandal in der britischen Abteilung des globalen Medienimperiums Rupert Murdochs ist bei weitem nicht ausgestanden, schon standen am 22. Juli die europäischen Zeitungs- und Fernsehkonsumenten vor der nächsten Folge schlecht erledigter Informationsaufgaben: Wer steckte hinter dem mörderischen Anschlag in Oslo und auf der Insel Utöya?
In den Stunden, in denen sich die gemeldeten Opferzahlen von "mindestens ein Toter bei Explosion in Oslo" rapide erhöhten und sich ein mit Raffinesse vorbereitetes Verbrechen abzeichnete, ließen Journalisten ihr Publikum in die Falle des seit dem 11. September 2001 gültigen Erklärungsmodells tappen: Dahinter stecke islamistischer Terror. Und wer diese Spur entdeckt hatte, fand dafür genügend Argumente.
Die Redaktionen lagern offenbar die Folgen des gestiegenen Zeitdrucks auf das Publikum aus und freunden sich mit dem Risiko an, dass sich beide eben auch irren können. Die Gefahr ist, dass das Publikum angesichts des Spiels mit unbestätigten Annahmen generell misstrauisch wird und sogar gesicherte Fakten nicht mehr ernst nimmt.
Die Medien verkaufen nämlich Hypothesen, ohne genau dazu zusagen, dass es bloß Hypothesen und somit unsichere Behauptungen sind.
Nicht nur Zeitungen, auch dem ORF und großen deutschen Fernsehanstalten passierte dieses Missgeschick. Noch in der "Zeit im Bild Spezial" am späteren Abend nach dem Attentat verkaufte der ORF die These vom islamistischen Terror. Einen solchen gab es ja seit 2001 nicht nur in den USA, sondern auch in Europa, und übrigens schon vor dem Schicksalstag 9/11 an US-Botschaften in Kenia und Tansania.
Er ist noch immer schreckenerregend, hat aber keinen Alleinvertretungsanspruch für mörderischen Fanatismus. Die vor allem in den USA gepflegten Erklärungsmuster von 2001 sind nicht einfach fortschreibbar. Es kann auch, wie der Fall Norwegen zeigt, ein abendländischer wirrer Fanatiker in jahrelanger planmäßiger Arbeit zum Ziel kommen, das nach Stand vom Mittwoch mit mindestens 76 Todesopfern zu beziffern ist.
In Österreich war der 1997 gefasste Bomben- und Briefbombenattentäter Franz Fuchs eine Art Miniausgabe solcher Typen. Beide hatten sich unauffällig Spezialkenntnisse angeeignet, beide waren in rechtsextremen Gedankengebäuden gefangen.
Darauf stürzen sich, seit die Al-Kaida-Theorie zusammengebrochen ist, die Analysten. Der Terror drohe von rechts und somit überall. So unbestreitbar die Zusammenhänge zwischen rechtsextremem Gewaltpotenzial und tatsächlicher Gewalt ist - die Fokussierung auf "rechts" ist in ihrer undifferenzierten Form so falsch wie die Gleichsetzung von Islam und Terror. Daraus entstehen auf beiden Seiten Kampfargumente, die aufschaukeln, ohne die Kernfragen zu berühren, warum sich in europäischen Staaten der Rechtstrend verstärkt und im islamischen Raum Terrorzellen personell und finanziell genährt werden. Vielleicht sollten die geschockten Europäer und auch die Medienvertreter dem norwegischen Ministerpräsidenten Jens Stoltenberg zuhören: "Unsere Antwort ist mehr Demokratie, mehr Offenheit und mehr Humanität. Aber nie Naivität."
Ehrliche Kommunikation ist anstrengender als präventive Empörung und erst recht eine überhebliche Jagd von Tätern, die gar keine Täter sind.
Der Autor ist Sprecher der Initiative Qualität im Journalismus; zuvor Journalist bei "Wirtschaftsblatt", "Presse" und "Salzburger Nachrichten".