Experten über den Überlebenskampf von Volksparteien à la ÖVP und SPÖ. | Wien. Wie zeitgemäß sind die traditionellen Volksparteien wie ÖVP und SPÖ heute noch? Diese Frage diskutierten am Montagabend im Palais Niederösterreich Journalisten, (Alt-)Politiker und Politikforscher anlässlich der Präsentation des "Jahrbuchs für Politik" der Politischen Akademie der ÖVP.
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Das Rennen mit den früheren Klassenparteien, die nur jeweils eine bestimmte Bevölkerungsschicht repräsentierten, konnten die Volks- oder Massenparteien nach 1945 für sich entscheiden, analysierte der frühere Nationalratspräsident Andreas Khol. Nun befänden sie sich aber im Kampf mit Protest- und monothematischen Parteien. In diesem könnten sie, so Khol, nur durch die "drei Ps" überleben: einem überzeugenden Programm, einer positiven Bilanz in der politischen Praxis und einer charismatischen Persönlichkeit an der Spitze.
Auch Politikberater Thomas Hofer hob die Bedeutung der Person hervor. Er sieht ein Erfolgsrezept für Parteien in der Abgrenzung zum alten parteipolitischen Stil. "Man muss die Parteiidentifikationsmerkmale über Bord werfen." Das hätten sowohl Barack Obama in den USA als auch Erwin Pröll in Niederösterreich geschafft und eine Landesidentifikation aufgebaut.
Der angesprochene niederösterreichische Landeshauptmann übte sich in Bescheidenheit und forderte eine "Entpersonifizierung". Auch wollte er seinen Wahlerfolg vor genau einem Jahr nicht nur auf den Wahlkampf zurückgeführt wissen. Vielmehr sei so ein Triumph das Ergebnis von harter Arbeit und dem konstanten Bemühen, verschiedenste Interessen auf einen Nenner zu bringen. Diese Integrationsfähigkeit habe auf Bundesebene bei der ÖVP lange gefehlt, so Pröll.
"Prölls Wahlerfolg eine einzigartige Geschichte"
Joachim Riedl von "Die Zeit" ließ das nicht ganz gelten. Prölls Erfolg sei eine "singuläre Geschichte" und nicht auf die ÖVP umlegbar. Die niederösterreichische ÖVP sei eben keine ÖVP, sondern eine Pröll-Partei. Schließlich vertrete Pröll oft Positionen, die in der ÖVP nicht mehrheitsfähig sind.
Was die Zukunft der traditionellen Volksparteien angeht, so befürchtet Riedl eine Zersplitterung der Parteienlandschaft nach italienischem Modell aufgrund einer Fragmentierung der Gesellschaft. So fühlten sich viele Menschen durch die Parteien nicht mehr vertreten. Andere fühlten sich angesichts des noch immer herrschenden Parteienstaats macht- und stimmlos. Diesen hätte, so Riedl, einer wie Jörg Haider eine Stimme gegeben.
Das Ende der politischen Milieus
Dass es in Österreich gerade rechtspopulistischen Parteien wie der FPÖ und dem BZÖ gelingt, diese politisch resignierten Bevölkerungsteile anzusprechen, hält die deutsche Parteienforscherin Viola Neu für reinen Zufall. Für "jene, die sich auf der Verliererstraße sehen", seien weniger die Inhalte entscheidend, als vielmehr die Persönlichkeit. In Österreich sei dies eben lange Zeit Jörg Haider gewesen, in Deutschland, wo den rechten Parteien eine akzeptable Führungsperson fehle, hingegen der Linkspopulist Oskar Lafontaine.
Zwar glaubt auch Politikwissenschafterin Neu an den Fortbestand der Volksparteien, allerdings nur, wenn diese flexibel und anpassungsfähig seien. Nur so könnten sie den "dramatischen Wählerwandel" bewältigen. "Milieus prägen kein politisches Verhalten mehr. Es gibt nur noch Lebensmilieus, aber kaum mehr politische Milieus", so Neu. Die Volksparteien können sich also nicht mehr auf ihre sogenannte Stammwählerschaft verlassen.