16 EU-Länder geben volkswirtschaftlich Anlass zur Sorge - Deutschland nicht.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Straßburg. Nein, es soll niemand an den Pranger gestellt werden. Die Bitte von EU-Kommissar Olli Rehn verhallt ungehört. Natürlich wird es als Zeugnisvergabe verstanden, wenn die EU 27 Volkswirtschaften erstmals auf den Prüfstand stellt. Am Dienstag wurde in Straßburg das "Scoreboard" für zehn volkswirtschaftliche Kriterien präsentiert. Laut Rehn soll Alarm geschlagen werden, bevor sich "riskante und gefährliche Ungleichgewichte aufbauen". Die EU will ein weiteres Auseinanderdriften der Länder bei der Wettbewerbsfähigkeit verhindern und kreditfinanzierte Blasen identifizieren, bevor sie Finanzkrisen auslösen. Das "Scoreboard" dient somit (wie "Sixpack" und "Europäisches Semester") zur verstärkten wirtschaftlichen Koordination.
Nun liegt das erste Ergebnis (basierend auf Zahlen von 2010) vor. Österreich darf aufatmen: Zwar ist der Marktanteil der heimischen Exporte laut Scoreboard in den letzten fünf Jahren überdurchschnittlich gefallen.
Ebenso übersteigen die Verschuldung des Privatsektors und der öffentlichen Hand bekanntermaßen die von der EU tolerierten Schwellenwerte. Für besorgniserregende Ungleichgewichte hält die EU-Kommission dies aber nicht.
12 EU-Staaten werden hingegen einer vertieften Untersuchung unterzogen. Bei Belgien, Frankreich, Italien, Großbritannien und überraschenderweise auch Finnland geben hohe Marktanteilsverluste bei den Exporten Anlass zur Sorge. Im Musterland Schweden sind die Häuserpreise bedenklich gestiegen. Leistungsbilanzdefizite und Verschuldung sind in Ungarn, Zypern und Bulgarien ein Thema, in Slowenien sind es die Produktionskosten. In Spanien sprengt die Arbeitslosigkeit alle Schwellen, in Dänemark ist die private Verschuldung sehr hoch.
Berlin entkommt Prüfung
Massive Probleme gibt es natürlich in Griechenland, Irland, Portugal und Rumänien. Da diese Länder aber von EU und Internationalem Währungsfonds genauestens unter die Lupe genommen werden, sind sie von der Prozedur ausgenommen. Ländern, die nicht auf die Kritik reagieren, droht (ähnlich wie beim Defizit) ein Verfahren.
"Es ist grundsätzlich positiv, dass Ungleichgewichte thematisiert werden, nachdem man sie zehn Jahre lang ignoriert hat", sagt Stefan Ederer vom Wifo. Zündstoff birgt ein Land, das nicht gerügt wird: Exportkaiser Deutschland liegt mit 5,9 Prozent Leistungsbilanz-Überschuss gerade unter der Schwelle von 6,0 Prozent. Kein Zufall, vermutet Ederer: "Die Schwellen wurden so gesetzt, dass man wenigen Ländern wehtut."
Rehn sagt dazu, die EU brauche exportstarke Länder, die sich global behaupten. "Eine ausgeglichene Leistungsbilanz und starke Exporte schließen sich nicht aus", betont hingegen Ökonom Ederer. Damit Deutschlands Exportboom nicht dauerhaft auf Kosten anderer geht (und deren Schulden hochtreibt), müsse Berlin zum Ausgleich aber den Binnenkonsum stärken und die Importe steigern. Das ginge zum Beispiel über höhere Löhne.