Beteiligung im umkämpften Süden Afghanistans gering. | Drohungen der Aufständischen zeigten Wirkung. | Kabul. In Afghanistan hat nach der Parlamentswahl vom Wochenende die Auszählung der Stimmen begonnen. Bereits jetzt sind bei der Wahlkommission tausende Beschwerden über Unregelmäßigkeiten eingegangen. Im Raum steht der Vorwurf, dass es zu zahllosen Betrügereien gekommen sei. Deshalb könnte es Wochen dauern, bis ein vorläufiges Resultat feststeht.
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Am Samstag hatten hunderttausende Afghanen trotz Anschlägen und Drohungen der Taliban ein neues Parlament gewählt. Bereits einige Stunden vor Öffnung der Wahllokale gab es Raketenangriffe in verschiedenen Städten des Landes. In Kabul schlug in den frühen Morgenstunden ein Geschoss in der Nähe des Präsidentenpalasts ein. Die radikal-islamischen Taliban hatten seit Wochen die Bevölkerung gewarnt, von ihrem Stimmrecht Gebrauch zu machen. Nach offiziellen Angaben sollen am Wahltag bei Attentaten und Angriffen 14 Personen getötet worden sein. Die Zahl der Opfer könnte jedoch viel höher sein: Der Gouverneur der Provinz Nangarhar erklärte, allein in seiner Provinz seien 26 Menschen ums Leben gekommen.
Bei den Wahlen bewarben sich rund 2500 Kandidaten um 249 Mandate. Die Abstimmung gilt für den Westen als Test für die demokratische Entwicklung und die Stabilität des Landes. Immerhin will man nach neun Jahren Krieg endlich mit dem Abzug der Truppen beginnen und Afghanistan sich selbst überlassen.
Zunehmende Gewalt
Allerdings war schon die Präsidentschaftswahl vor einem Jahr von massivem Wahlbetrug überschattet. Monatelang ist über das Endergebnis gestritten worden. Auch diesmal hat die Wahlbeschwerdekommission tausende Eingaben registriert. Die unabhängige Beobachtermission "Free and Fair Election Foundation of Afghanistan" (FEFA) erklärte, sie habe "ernste Bedenken", was die "Qualität der Abstimmung" angehe. Manche Wahlbeobachter zeigen sich angesichts der zunehmenden Gewalt und der steigenden Anzahl von Betrugsfällen im privaten Kreis schockiert. Mehr als besorgt ist man hier wegen der unsicheren Lage im Norden Afghanistans, der lange Zeit ruhig und stabil war. Diesmal sei es dort in manchen Wahllokalen wie in einem Selbstbedienungsladen zugegangen, so die Beobachter. Jeder Kandidat hätte versucht, eine Box zu ergattern, um sie mit Stimmen für sich zu füllen.
Wegen Sicherheitsbedenken waren laut der Unabhängigen Wahlkommission des Landes nur 5355 Stimmlokale geöffnet - rund 1500 weniger als vor gut einem Jahr. Nach Angaben der Wahlkommission lag die Wahlbeteiligung bei 40 Prozent und damit um zehn Prozent höher als bei den Präsidentenwahlen im vergangenen Jahr. Allerdings wird diese Zahl stark angezweifelt, denn die Kommission hat ihrer Berechnung die ausgegebenen rund 11,4 Millionen Stimmkarten und die abgegebenen Stimmkarten zugrunde gelegt. Damit wird aber nicht die Wahlbeteiligung, sondern die Anzahl der benutzen Wahlkarten gemessen. Beobachtern zufolge lag selbst in der relativ sicheren Hauptstadt Kabul die Wahlbeteiligung nur bei 18 bis 20 Prozent. In Kandahar, im Süden, sollen nur elf Prozent ihre Stimme abgegeben haben.
Nach dem Debakel bei der Präsidentschaftswahl 2009 war man diesmal bemüht, die Messlatte von vornherein niedrig anzulegen. Afghanistans Präsident Hamid Karzai hat deshalb schon vor der Wahl das Auftreten von "Unregelmäßigkeiten" prophezeit. Immer wieder hörte man jetzt die Beteuerung, dass "Afghanistan nicht die Schweiz" sei. "Es gibt keinen Anlass, anzunehmen, dass es diesmal weniger Betrug gegeben hat", so Martine von Bijlert, Mitglied einer Studiengruppe in Kabul.