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Maßlos im Streit, maßlos in der Wut

Von Walter Hämmerle

Analysen

Die Regierung scheint ihren Vorrat an Gemeinsamkeiten vorzeitig aufgebraucht zu haben. Eine Analyse.


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Dieser Bundesregierung gelingt spielend, ihre Kritiker zu erhöhen, indem sie sich selbst erniedrigt. Die einen wie die anderen haben dabei allerdings jegliches Maß verloren: SPÖ und ÖVP, weil sie billigend in Kauf nehmen, dass ihr alltäglicher Vielfronten-Kleinkrieg die Würde ihrer Ämter beschädigt. Und die Maßlosigkeit der Kritiker - Medien inklusive - besteht darin, das ganze System einer Generalabrechnung zu unterziehen, die - konsequent zu Ende gedacht - das Politische per se diskreditiert.

Das Problem ist nicht, dass Sozialdemokraten und Volkspartei, obwohl in einer gemeinsamen Koalition, von unterschiedlichen Politik- und Wertvorstellungen angetrieben werden und deshalb unentwegt miteinander streiten. Zum Kern des Politischen gehört der Konflikt ebenso zwingend wie der daran anschließende Kompromiss. Dass in der Demokratie das eine ohne das andere ins Leere läuft, ist in Österreich nie ins öffentliche Bewusstsein vorgedrungen. Und das gilt für die Parteien wie auch für die Bürger.

Der Streit ist also nicht das Problem von Werner Faymann und Reinhold Mitterlehner, den beiden Parteichefs von SPÖ und ÖVP. Die Krise der Koalition besteht darin, dass längst niemand mehr glaubt, es könnte bei all den Auseinandersetzungen um für den durchschnittlichen Bürger dieses Landes relevante Sachfragen gehen. Politik, so sehen das mittlerweile viele, ist Teil des Problems, nicht der Lösung. Allenfalls eine Minderheit glaubt noch, dass eine andere Politik zu besseren Ergebnissen führen könnte.

Diese Erwartungshaltung haben sich sogar SPÖ und ÖVP zu eigen gemacht: Ihre Rechtfertigung für die Fortsetzung des Status quo begründen sie mit der Unheil versprechenden Aussicht auf eine mögliche Regierungsvariante ohne eigene Mitwirkung. Darin liegt - aus Sicht der SPÖ - das Unerträgliche von Schwarz-Blau und - für die ÖVP - das Skandalon von Rot-Blau. In der Zusammenschau mit der je eigenen Farbe erhält die FPÖ gleich ein viel freundlicheres Gesicht. So gesehen gleiten unter der Regie der beiden Regierungsparteien sogar noch die vermeintlich wichtigsten Fragen fast unvermeidlich ins Lächerliche und Unernste ab.

In der jüngsten Auseinandersetzung um den Bau - oder eben Nicht-Bau - eines Zauns an der Grenze zu Slowenien haben SPÖ und ÖVP die Zuspitzung ins Tragikkomische geradezu auf den Punkt getrieben. Indem beide unablässig über etwas gesprochen haben, worüber sie ganz offensichtlich nicht sprechen konnten, haben Kabarettisten und sonstige Spötter eine fast unerschöpfliche Fundgrube an Peinlichkeiten und Bizarrem geliefert. Dass es hinter all dem im Kern um Fragen von elementarer Bedeutung geht - Wie begegnen wir Schutzsuchenden? Mit welchen Mitteln soll ein liberaler Staat seine Grenzen sichern? - geriet dabei völlig in den Hintergrund, stattdessen erlebte man die rhetorischen Purzelbäume der Protagonisten mit zwar staunender, aber doch zunehmend irritierter Fassungslosigkeit.

Neue Gesichter wären natürlich eine Option. Wie eigentlich ohnehin fast immer. Kolportierte Kandidaten dafür gäbe es zuhauf, vom Kanzler abwärts, hüben wie drüben. Wie schnell es gehen kann, exerziert die Volkspartei regelmäßig vor. Die Erosion der Neuen verläuft allerdings ebenso rasant. Bis dato hat einzig Sebastian Kurz von jenem Zaubertrank gekostet, der ihm seine politische Strahlkraft sichert. Und in der Kanzlerpartei brodelt einzig die Gerüchteküche. Reale Gelegenheiten verstreichen dabei ungenützt, wie die Neuauflage von Rot-Grün in Wien jetzt zeigt.

Bleibt die Frage: Hält diese Regierung bis zum regulären Wahltermin im Herbst 2018? Die Vernunft jedenfalls würde es allen Seiten gebieten, aber die hat sich in Österreich noch nie als zentrale Wirkungsmacht hervorgetan.

Immerhin lockt manche in der ÖVP ja wirklich die blaue Option. Gemeinsam kommen Volkspartei und Freiheitliche derzeit allerdings nur auf 88 von 183 Mandaten; für einen fliegenden Wechsel bräuchte es also noch zumindest vier weitere Stimmen, die allerdings zur Not schon zu finden wären; zumindest für diesen Zweck wäre das Team Stronach mit seinen verbliebenen sechs Mandaten noch zu gebrauchen.

Nur: Warum sollte die FPÖ sich von der Oppositionsbank, wo ihr die Stimmen nur so zufliegen, in die unbequeme Rolle des Juniorpartners eines ÖVP-Kanzlers begeben? Heinz-Christian Strache will regieren, sehr sogar. Aber kaum so sehr, dass er SPÖ und ÖVP aus ihrem gegenseiteigen Zermürbungskampf befreit. Und die ÖVP hat natürlich Lust am Kanzleramt, aber ein fliegender Wechsel ohne Neuwahlen würde einer demoralisierten SPÖ quasi über Nacht ungeahntes neues politisches Leben einhauchen; überhaupt ist die Volkspartei in dieser strategischen Frage tief gespalten.

Kein diabolus und auch kein deus ex machina werden SPÖ und ÖVP aus ihrer Lage befreien. Das müssen sie schon selber leisten. Wobei man die beharrende Kraft des Regierens nicht unterschätzen sollte. Vor allem, wenn das begründete Risiko besteht, auf die damit verbundenden Vorteile und Annehmlichkeiten künftig verzichten zu müssen.