Der ORF ist heute freier denn je - ungeachtet der neuen Debatte um Personalbestellungen. Man darf nicht Zustand und Image gleichsetzen.
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Warum ist mir nicht recht wohl bei der großen medialen Debatte um die aktuellen Personalbesetzungen im ORF? Die Sorgen der Redakteure und des Publikums um die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind zweifellos lauter. Besondere Wachsamkeit ist allein schon aus historischen Erfahrungen der letzten Jahrzehnte angebracht.
Aber ist die nunmehrige Heftigkeit der Erregung angemessen? Wird die möglicherweise berechtigte Furcht von ORF-Journalisten nicht mit etwas amalgamiert, das aus ganz anderem Interesse gespeist ist, nämlich einem in den letzten Jahren immer heftiger gewordenen Bashing des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Interesse des aufstrebenden Privatrundfunks? Letzterer hat seine Kombattanten in den meisten Printmedien, die auf der Eigentümerebene mit dem Privatrundfunk heftig verwoben sind. Redaktionsstatute, die eine gewisse Unabhängigkeit der Redaktion gegenüber den Eigentümerinteressen ermöglichen, sind in den meisten Blättern ein Fremdwort.
Wer sich die aktuelle Medienerregung über die Bestellung von Nikolaus Pelinka & Co. genauer ansieht, muss mit zunehmender Fassungslosigkeit feststellen, dass das Emotionale das Rationale häufig übertrifft. Der Umfang, mit dem auf das Äußere etwa des umfehdeten künftigen Büroleiters von Generaldirektor Alexander Wrabetz in politischen Kommentaren und Artikeln eingegangen wird, ist so auffällig, dass nun Marga Swoboda in der "Kronen Zeitung" dem Phänomen ihre Kolumne gewidmet hat: "Und wie trägt der Pelinka seinen Scheitel?" Nachlesenswert. Aber womit hat das zu tun? Haben sich Society-Journalisten ins politische Ressort verirrt? Darf ein links- oder ein grünorientierter Mensch in den Augen Konservativer, Linker oder Grüner immer noch nicht gut gekleidet und frisiert sein? Oder ist es Strategie? Die Fokussierung auf das Äußere geht in Teilen der Medienberichterstattung einher mit negativen, herabwürdigenden, lächerlich machenden Zuschreibungen. Diese begannen nach der Berufung Pelinkas in den ORF-Stiftungsrat.
Michael Jeannée bezeichnete den damals 24-Jährigen als "Pelinka-Burli" (3. Dezember 2010). Den Begriff "sozialdemokratische Kinderbrigadisten" erfand kurz davor Christian Ortner in der "Presse" (26.November 2010). Später griff dies "Presse"-Chefredakteur Michael Fleischhacker auf: Er schrieb modifiziert vom "Kindersoldatenspezialkommando der SPÖ, Laura Rudas und Nikolaus Pelinka", die "halb-gebildete Mittzwanziger" seien, und nannte Pelinka kurz vor der Wrabetz-Wahl zum ORF-Generaldirektor einen "größenwahnsinnigen Sozenschnösel" (8. August 2011). In der aktuellen Debatte wurde Pelinka bei Flaschhacker zum "gelackten Parteikindersoldaten" (28. Dezember 2011). Dies ist nur ein kleiner Auszug der Verbalinjurien. Diesen verbalen Radikalismus begleiten in den Online-Foren inzwischen Mordankündigungen gegenüber Pelinka.
Kritik an dieser völlig überzogenen und möglicherweise sogar gefährlichen Kommentierung, die deutliche Züge der Hetzpublizistik hat, blieb bis jetzt im heimischen Journalismus aus. Wann kommt Einsicht?
Rückantwort von Engelbert Washietl "Sind ORF-Redakteure verkappte Privatsöldner?"