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Maßnahmenvollzug in der Endlosschleife

Von Linda Frosch

Politik
Die Sonderanstalten sind voll. Eine geplante Reform des Maßnahmenvollzugs soll das ändern.
© Moritz Ziegler

Für das Justizbudget 2022 plant Ministerin Alma Zadic die Reform der Unterbringung geistig abnormer Rechtsbrecher fix ein. Deren Beschluss lässt aber noch auf sich warten.


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Die Sonderanstalten für geistig abnorme Rechtsbrecher sind voll. Straffällige, die aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht voll schuldfähig sind, werden hier untergebracht. Um zu verhindern, dass diese rückfällig werden, sitzen sie nicht nur ihre Haftstrafe ab, sondern werden auch therapeutisch betreut. Fast 1.400 Menschen sitzen momentan im sogenannten Maßnahmenvollzug - und somit drei Mal mehr als noch vor 20 Jahren. Laut Justizministerium entspreche das einer Belegung von 120 Prozent.

"Der Maßnahmenvollzug liegt tatsächlich im Argen", sagte Justizministerin Alma Zadic kürzlich im Budgetausschuss des Nationalrats. Zuletzt hatten die langen Unterbringungszeiten in Kombination mit überfüllten Justizanstalten und Personalmangel dazu geführt, dass sogar der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Österreich 2015 und 2017 klagte. Menschen würden zu lange in den Sonderanstalten hängen bleiben, die Umstände seien teils menschenrechtswidrig.

Den Gesetzesentwurf für eine Reform, die verändern soll, wie geistig abnorme Rechtsbrecher in Zukunft untergebracht werden, gibt es bereits. Der erste Teil war schon im Mai zur Begutachtung im Nationalrat vorgelegt worden, bei einem zweiten Teil wird noch am Entwurf gearbeitet. Seit Anfang Juli herrscht jedoch Stillstand. Nähergekommen ist man einem tatsächlichen Beschluss bisher nicht. Die rund 70 eingelangten Stellungnahmen würden zurzeit geprüft, heißt es aus dem Ministerium. Ob die Anpassung mit Jahresbeginn in Kraft treten kann, ist somit unklar.

Dennoch ist die Reform des Maßnahmenvollzugs im Justizbudget 2022 fix eingeplant. Insgesamt soll die Justiz laut Budgetentwurf 1,9 Milliarden Euro erhalten, also 76,4 Millionen mehr als 2021. Auf den Maßnahmenvollzug und seine Erneuerung entfallen davon rund 104,3 Millionen.

In der Vergangenheit kam es bei der Neugestaltung des Maßnahmenvollzugs immer wieder zu Verzögerungen. Das Thema gilt als gesellschaftlich schwierig vermittelbar, Verbesserungen für Straftäter stoßen meist auf Unverständnis. Oft wird dabei vergessen, dass es sich hier um psychisch kranke Menschen handelt, die Hilfe brauchen. Das zeigt auch der rezente Suizid eines Häftlings in der Justizanstalt Stein. Michael H. war einer jener Menschen, die "in der Maßnahme" untergebracht sind.

Offene Enden,lange Prozesse

In den Maßnahmenvollzug werden Personen eingewiesen, die aufgrund einer psychischen Erkrankung oder einer anderen Bewusstseinsstörung zum Zeitpunkt der Tat unzurechnungsfähig waren oder diese Tat aus der Erkrankung heraus begangen haben. Diese Entscheidung wird vom Gericht auf Basis eines psychiatrischen Gutachtens getroffen. Im Gegensatz zur Haftstrafe ist der Verbleib im Maßnahmenvollzug nicht zeitlich begrenzt. Das führt dazu, dass viele Untergebrachte auch dann noch in der Anstalt bleiben müssen, wenn sie ihre ursprüngliche Haftstrafe längst absolviert haben.

Ob und wann jemand entlassen wird, hängt von der psychischen und persönlichen Entwicklung der betreffenden Person ab. Das zentrale Kriterium ist immer, dass vom Untergebrachten keine Gefahr mehr ausgeht. Die Betreuer vor Ort - also Psychologen, Ärzte, Sozialpädagogen und Anstaltsleiter - geben gemeinsam Empfehlungen ab, über die dann ein externer Gutachter entscheidet. Da es allerdings an Gutachtern und Sachverständigen vor Gericht mangelt, sind die Wartezeiten oft lang. Der Zeitpunkt der Entlassung bleibt für viele Betroffene ungewiss. Auch für Michael H. habe dies eine große psychische Belastung dargestellt, sagen die Angehörigen. Eine Beschleunigung dieser Prozesse kündigte die Justizministerin ebenfalls an. So sollen Gutachten künftig besser honoriert werden.

Weniger Untergebrachte, mehr Personal

Die Probleme im Maßnahmenvollzug sind struktureller und personeller Natur. Im Zentrum der Reform stehen daher primär die Entlastung der Anstalten sowie eine personelle und finanzielle Aufstockung. Ziel ist, dass weniger Menschen im Maßnahmenvollzug landen. Dadurch soll sich die Qualität der Betreuung verbessern, aber auch Kosten sollen gesenkt werden. In Zukunft muss ein Delikt, das mit mindestens drei Jahren Haft (statt mit einem Jahr) bedroht ist, vorliegen. Ausnahmen gelten, wenn eine besonders hohe Gefährlichkeit für Leib, Leben, sexuelle Integrität und sexuelle Selbstbestimmung besteht, also wenn es sehr wahrscheinlich ist, dass die betreffende Person etwa schwere Körperverletzung, Mord oder sexuellen Missbrauch begehen könnte. Aktuell sind 40 Prozent der Personen im Maßnahmenvollzug aber aufgrund eines minderschweren Delikts, zum Beispiel Nötigung oder gefährliche Drohung, untergebracht. In solchen Fällen bestehe meist nur ein geringes oder mittleres Rückfallrisiko, heißt es in einer Stellungnahme des Netzwerks Kriminalpolitik.

Die Art, wie die betroffenen Personen untergebracht werden, wird sich ebenfalls ändern. Geht man von keiner längerfristigen Gefahr aus, will man in Psychiatrien behandeln und nicht mehr in den Justizanstalten. Doch auch die Psychiatrien seien überlastet, sagt Bernhard Rappert, Fachbereichsleiter der Patientenanwaltschaft des VertretungsNetzes.

Im Budget niederschlagen wird sich vor allem der Ausbau der Justizanstalten Asten und Göllersdorf zu "forensisch-therapeutischen Zentren". 200 zusätzliche Therapieplätze, mehr Betreuungspersonal und ein Umbau sind geplant. Die Unterbringung wird damit langfristig "besser und kostengünstiger", heißt es im Budgetausschuss.

Entlastung für die überfüllten Justizanstalten, mehr Geld und Personal - das hatten sich viele gewünscht. Juristen und Psychiater begrüßen vor allem die höheren Schwellen für die Unterbringung sowie den Ausbau des Betreuungsangebots auch nach der Entlassung. In der Budgetdebatte am Dienstag bezeichnete Agnes Prammer, Nationalratsabgeordnete der Grünen, die Reform als "eine echte Verbesserung - für Untergebrachte und Personal."

Die Ansätze seien gut, aber ausbaufähig, so der Tenor von Kritikern. Die Entlassungskriterien sind dem Netzwerk Kriminalpolitik weiterhin zu streng: Verurteilte sollten die Anstalt verlassen können, wenn ihre Haftstrafe endet. Nur eine "besonders hohe Gefährlichkeit" solle den Schritt in die Freiheit verhindern.