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Mathematik sticht Schönfärberei aus

Von Clemens M. Hutter

Gastkommentare
Clemens M. Hutter war Chef des Auslandsressorts bei den "Salzburger Nachrichten".
© privat

Die niederländischen Wahlen sind ein Musterbeispiel für rhetorische Drogen, wenn Ziele verfehlt wurden.


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Die Wahlen in den Niederlanden sind ein geradezu amüsantes Beispiel dafür, wie harte Wahlkämpfer nachher zu Psychiatern mutieren, die in klare Zahlen gegossene Fehlschläge umdeuten. Immerhin suchen enttäuschte Anhänger Trost.

Die rechtsliberale VVD von Premier Mark Rutte fiel von 26 auf 21 Prozent ab, blieb aber stärkste unter 14 Parteien. Deshalb jubelte Rutte: "Das Beste ist, dass wir die Größten sind, die Initiative ergreifen und unsere Politik weiter betreiben können."

Woher dann der Verlust an Wählern? Zudem dürfte ihm das Weitermachen die Ausdauer für einen Triathlon abfordern, weil Rutte Konzessionen machen und mindestens zwei neue Koalitionspartner finden muss, um eine Regierungsmehrheit auf die Beine zu stellen. Sein bisheriger sozialdemokratischer Partner, die Arbeitspartei, schmolz nämlich auch wegen innerparteilicher Flügelkämpfe auf ein Viertel zusammen. Das schluckte Parteichef Lodewijk Asscher tapfer hinunter: "Das Vertrauen in unsere Ideale ist ungebrochen. Wir werden unsere Wunden lecken und schneller wieder lachen, als ihr denkt." Das ähnelt dem Trost für einen Lungenkranken, dass doch sein Gehör ausgezeichnet funktioniere.

Nichts zu lachen hat der Rechtspopulist Geert Wilders, der seinen Wahlkampf mit "Raus aus der EU", Flüchtlingen und dem Schreckgespenst "Islamisierung Europas" ausfocht. Er verbesserte sich zwar von 10 auf 13 Prozent, aber das heißt entgegen aller Schönfärberei, dass 87 Prozent der Niederländer nicht dem Rechtspopulisten zustimmten.

Das beeindruckte den relativen Wahlgewinner Wilders überhaupt nicht: "Der erste Gewinn ist eingefahren! Und Rutte ist uns noch lange nicht los." Seine Anhänger rechnen plakativer: Zuwachs um ein Drittel. Und der Franzose Florian Philippot, Vizepräsident des rechtspopulistischen Front National (FN), prophezeit Wilders eine glänzende Zukunft: "Das nächste Mal wird er gewinnen" (nächster Wahltermin 2022), denn "das System der EU, das immer totalitärer wird, erlebt seine letzten Monate". Der FN selbst dürfte bei der Präsidentschaftswahl (23. April) angesichts konstanter Umfragewerte von 27 Prozent mit dem Aufstieg in die Stichwahl, keineswegs aber mit dem Sieg über den parteifreien Emmanuel Macron rechnen. Dass die EU ihre "letzten Monate erlebt", ist freilich ein Märchen. Selbst naive Gemüter begreifen, dass der Brexit wegen seiner beklemmenden Folgen jetzt sogar den Briten unheimlich wird. Schottland und Nordirland wollen ohnehin mit London brechen.

Die Herbstwahlen in Deutschland im Blick, bejubelte Kanzleramtsminister Peter Altmeier das Wahlergebnis: "Niederlande, oh Niederlande, du bist ein Champion! Wir lieben Oranje für sein Tun und Handeln! Herzlichen Glückwunsch zu diesem tollen Ergebnis." Zum Glück bilanzierte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nüchtern und realistisch: "Ein Votum für Europa, ein Votum gegen Extremisten."

Die Rechtspopulisten folgen einer simplen Taktik: plakative Reizparolen, aber keine konkreten Programme und nichts über deren Finanzierung. Deshalb bleibt von Wilders nur ein Satz übrig, in dem man nur Rutte gegen EU austauschen muss: "Die EU ist uns noch lange nicht los." Das wird die EU aushalten.