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Mattscheibe für die Brillenkamera

Von Christian Mayr

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Vor zwei Jahren in Schladming lieferte sie als Weltneuheit Live-Bilder aus der Rennperspektive - seither gab es für die RiCam keinen Einsatz mehr.


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Angesagte Revolutionen finden bekanntlich nicht statt - bei Technik-Revolutionen ist es mitunter genauso. In diese Kategorie fällt auch wohl die vor zwei Jahren anlässlich der Ski-WM in Schladming präsentierte RiCam, vulgo Brillenkamera. Wer erinnert sich noch daran? Die als Weltneuheit und -sensation angepriesene, in die Rennläufer-Skibrille eingearbeitete Kamera sollte Live-Bilder aus der Fahrerperspektive in die Wohnzimmer zaubern. Und der Startschuss dafür sein, dass künftig - wie in der Formel 1 - jeder Skifahrer derart bestückt wird und von der Streif bis zum Nachtslalom die Welt gleichsam mitfahren lässt. Aber erstens kommt es bekanntlich anders und zweitens als man denkt. Denn nicht nur der Auftakt in Schladming war holprig, sondern auch die weitere Geschichte der RiCam im alpinen Rennsport war eine, die im Sand verlief. Vom einstigen Gemeinschaftsprojekt von Hersteller Riedel, ÖSV und ORF ist beispielsweise bei der aktuellen WM in Vail nichts mehr zu hören und zu sehen. Das mag wohl auch daran liegen, dass die wenigen gelieferten Bilder aus Schladming gar so spektakulär auch nicht waren - oder wer erinnert sich noch an den bahnbrechenden Slalom-Lauf von Matthias Mayer in der Kombination? Und auch im Teambewerb war die Anzahl an Testpersonen mit der 64Gramm leichten Kamera an einer Hand abzählbar. Verständlich, dass sich Stars wie Marcel Hirscher und Ted Ligety die Kamera bestenfalls im Training aufsetzten, denn wer Champion werden will, für den sind solch minimale Ablenkungspotenziale einfach tabu. Doch was ist nun aus dem einstigen Prestigeprojekt geworden, für das immerhin eine sechstellige Summe investiert wurde? Beim deutschen Hersteller beklagt man zum einen die fehlende Unterstützung der FIS: "Um eine Brillenkamera im Ski-Weltcup einzusetzen, ist es in erster Linie notwendig, die entsprechenden Regularien zu schaffen." Dazu komme noch die Unklarheit, wer die Einsätze finanziert. "Verschiedene Versuche, Sponsoren zu gewinnen, sind bis dato gescheitert", sagt Riedel zur "Wiener Zeitung". Auch der Betrieb ist nicht ganz billig: Pro Kamera ist ein Techniker nötig, entlang der gesamten Strecke müssen Empfangsstationen montiert und Glasfaserkabel verlegt werden. Und wenn nicht von oben Chancengleichheit wie in der Formel 1 durchgesetzt wird - entweder Kamera oder ein Dummy - wird sich eben kein Fahrer für die RiCam entscheiden.

Dafür gibt es für die Mini-Kamera aber ein erfolgreiches neues Betätigungsfeld - am Helm von Eishockey-Referees in der deutschen Liga. Wenn künftig auch Fußballschiedsrichter derart ausgerüstet würden, dürfen sich Ronaldo, Messi und Co. schon einmal warm anziehen, denn dann erlebt die Fußballöffentlichkeit endlich alle Flüche und Sprüche der Topstars mit. Live und freihaus.

Beim Skifahren ist diese Kamera mit Live-Bildern vielleicht ohnedies eine Fehlbesetzung. Denn die Kamerafahrten von Hans Knauß und Co. liefern vor dem Rennen schon perfekte und hochauflösende Bilder, an die die RiCam mit ihren Wackelaufnahmen nicht herankam. Und der neueste Trend ist sowieso die Seilbahnkamera Cat-Cam, die mit den Fahrern durchs Gelände mitrast. Und noch ein Argument spricht dagegen: Der Alpinsport ist kein Kampf Mann gegen Mann, sondern bloß einer gegen die Uhr - spektakuläre Überholmanöver gibt es hier einfach nicht.