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Vor knapp zehn Jahren, in der "Wendezeit" der DDR, kamen spontan 118 Künstler aus 21 Ländern nach Ostberlin und bemalten das 1.300 m lange Stück Grenzmauer entlang der Mühlenstraße im Bezirk Friedrichshain auf eigene Kosten mit farbenfrohen Bildern zum Thema Freiheit. Jeder erhielt sechs Mauersegmente, 7,80 Meter lang und 3,60 Meter hoch als "Leinwand". Leiter neben Leiter standen sie damals, wenig achtend auf die Qualität des Malgrunds und der Farben. So entstand die einmalige und größte Freilicht-Galerie der Welt, die man auf den Namen East Side Gallery taufte. 1991 wurde sie unter Denkmalschutz gestellt. Seitdem zog sie jahrelang Scharen von Touristen aus aller Welt an. Aber der Zahn der Zeit nagte an Mauer und Kunstwerken. Graffiti-Sprüher, "Mauerspechte" und Vandalen verwandelten die Attraktion in ein trostloses Bild des Jammers. Nach einem Berliner Spaziergang mahnte die "Wiener Zeitung" im vergangenen Herbst: "East Side Gallery in Gefahr".
Einzelne Künstler erneuerten auf eigene Kosten mehrmals ihre Riesengemälde, gründeten eine Künstlerinitiative, dokumentierten die Bilder auf Fotos und suchten nach Unterstützung beim Senat und privaten Sponsoren. Trotz eines Senatsbeschlusses zum Erhalt der Galerie tat sich finanziell von dieser Seite nichts. Immer mehr Gemälde waren kaum noch zu erkennen. Die Touristen blieben aus.
Der jüngste "Spaziergang´´ lässt allerdings hoffen. Der am 2. Juni 1900 in Berlin gegründete Verband der Lackindustrie hat die Sanierung von 300 Metern der East Side Gallery übernommen und dafür 300.000 DM zur Verfügung gestellt. Die Maler- und Lackiererinnung Berlin setzte 40 Lehrlinge und erfahrene Ausbilder zur Betonsanierung ein und entfernen die alten Bilder. Als erster trug der Frankfurter Künstler Cacciatore sein farbenfrohes an Picasso erinnerndes Bild "La Buerlinica" auf die frisch grundierte Mauerfläche auf. Auch der "Trabbi´, der die Mauer durchbricht, leuchtet in neuen Farben. Die großen Buchstaben eines Zitats von Erich Fried "Wer will, dass die Welt so bleibt, wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt", sind zwar noch gut leserlich, warten aber auch auf ihre Erneuerung.
Inzwischen wurden 3.000 kg Spachtelmasse und 500 l Farbe verarbeitet und 35 t Sand verstrahlt. Über ein halbes Dutzend Bilder sind im neuen Glanz zu sehen, 42 Künstler haben mit der Neugestaltung ihrer Bilder begonnen. Im Juli sollten die Arbeiten abgeschlossen sein. Mit einem Schlag sind auch die Touristen wieder da. Tausende kommen täglich zur Galerie, um den Mauer-Malern bei der Arbeit zuzusehen. Dieser Anfang berechtigt zu Hoffnungen. Aber für den "restlichen Kilometer" der Galerie ist noch keine Finanzierung in Sicht. Vielleicht erinnert diese private Initiative den Berliner Senat daran, dass zur groß angekündigten "Schaustelle Berlin 2000" nicht nur neue Expo-Projekte, Baustellen und fertige Häuser gehören, sondern auch solche einmaligen Kunstobjekte wie die East Side Gallery.