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Mäuse und Menschen brauchen Glück

Von Sabine Heimgärtner

Wissen

Die Lernfähigkeit hängt vom Erfolg ab. | Frustration macht extrem passiv. | Magdeburg. (dpa) Auf seine Wüstenrennmäuse lässt Henning Scheich nichts kommen. Begeistert präsentiert der Hirnforscher im Magdeburger Leibniz-Institut für Neurobiologie ein besonders gelehriges Exemplar seiner über 100-köpfigen Testgruppe. "Sie sind immer gut drauf, beißen nicht, sind unglaublich robust, hundertprozentige Profis und fantastische Lerner." Genau darauf kommt es an: Mit Hilfe komplizierter Testreihen lieferten Scheichs Mäuse wichtige Erkenntnisse für die deutsche Bildungsdebatte.


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Seit über zehn Jahren probt Scheich mit seinen possierlichen Tierchen den Aufstand gegen niederschmetternde Ergebnisse von Pisa-Studien, gähnende Langeweile in Klassenzimmern und Null-Bock-Mentalität von Schülern. Nun ist ihm der Durchbruch gelungen: Der international renommierte Wissenschafter konnte am Beispiel seiner Mäuse nachweisen, dass der Mensch nur dann wirklich lernfähig ist, wenn seine Anstrengungen mit Glücksgefühlen belohnt werden.

Das Experiment, das vor allem neue pädagogische Ansätze eröffnet, erscheint auf den ersten Blick einfach: Nach einem akustischen Signal wird die eine Hälfte eines zweigeteilten Käfigs kurz unter Strom gesetzt. Nach einiger Zeit stellt die Maus fest, dass sie dem strombedingten Kitzelreiz nur dann entgehen kann, wenn sie über eine kleine Hürde auf die andere Seite der Box hüpft. Auch wenn der Zusammenhang zwischen Signal und Strom nicht gleich erkannt wird, beginnt die Maus immer früher zu springen, wenn sie das unangenehme Kribbeln spürt, und merkt irgendwann, dass sie mit einem Sprung gleich nach dem Signal dem Fußkitzeln ganz entgehen kann.

Messungen im Mäusegehirn ergaben, dass dieses "Aha"-Erlebnis von einem Glücksgefühl begleitet wird, verursacht durch eine kurzzeitig erhöhte Ausschüttung des im Nervensystem zirkulierenden Botenstoffes Dopamin. "Das Gehirn belohnt sich für die gelungene Problemlösung sozusagen selbst", freut sich Scheich.

Bei noch weitergehenden Tests haben er und seine Kollegen nicht nur festgestellt, dass die Maus sitzen bleibt, wenn die bisher stromfreie Käfighälfte elektrisiert wird, sondern noch erstaunlicher: Das Tier wird extrem passiv, wenn auf beiden Seiten der Versuchskiste kleine Stromschläge ausgeteilt werden. "Die Mäuse waren dann in diesen Fällen total frustriert, weil sie die Erfahrung machen mussten, dass alles, was sie gelernt haben, nichts nützt."

Der Fachbegriff heißt "erlernte Hilflosigkeit", die nach Scheichs Erkenntnissen unbedingt zu vermeiden ist. "Es ist enorm wichtig, dass der Mensch von Zeit zu Zeit Erfolgserlebnisse hat." Übertragen auf die schulische Situation heißt das für den Forscher: "Eine optimale Lernsituation muss so gestaltet werden, dass jeder Schüler eine individuelle positive Bilanz von verdienten Erfolgen und Überwindung von Misserfolgen erreicht."

Dopamin aktiviert das Langzeitgedächtnis

Zusätzlich zu dem emotional angenehmen Gefühl beim "Lernen unter der Dopamindusche" stellt sich noch ein weiterer Effekt ein: Das Glück bringende Dopamin löst im Gehirn eine Eiweißsynthese aus, die das Langzeitgedächtnis aktiviert. Der Magdeburger Mäusetüftler schlug also mehrere Fliegen mit einer Klappe. Dafür wurde er jetzt mit dem Denktriebpreis 2005 der Wuppertaler Hans W. Winzig Stiftung ausgezeichnet.