Großbritanniens Parteichefs geraten in der Brexit-Debatte zunehmend unter Druck.
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London. Sechs Monate vor dem Brexit-Datum zeichnen sich schwere Zerwürfnisse ab in beiden großen Parteien Britanniens. Auf dem Labour-Parteitag in Liverpool ist am Montag ein zorniger Streit um ein zweites EU-Referendum entbrannt, das nach dem Willen der meisten Parteimitglieder einen Weg zum weiteren Verbleib in der EU eröffnen soll.
Einen solchen "Exit vom Brexit" schließen einflussreiche Führungsfiguren der Partei aber kategorisch aus. Während sich dieser interne Kampf zuspitzt, dessen Ausgang in den nächsten Wochen noch von größter Bedeutung sein könnte, findet sich Premierministerin Theresa May drunten in London von ihren eigenen Brexiteers zunehmend in Bedrängnis gebracht.
Die Brexit-Hardliner der Konservativen nämlich verlangen seit Mays Salzburger Debakel lautstark eine Neuorientierung bei den Brexit-Verhandlungen, mit dem Ziel vollständiger Abkoppelung ihres Landes von der Europäischen Union. Dem rechtskonservativen "Daily Telegraph" zufolge soll inzwischen schon die Mehrheit der Minister in Mays Kabinett für einen solchen Kurswechsel eingetreten sein.
Theresa May aber hält einstweilen noch an ihrem "Chequers-Plan" fest. Dieser Plan sieht ein kompliziertes Zoll-Arrangement mit der EU vor, bei dem London sich fürs Erste an EU-Regeln des Güterverkehrs halten würde, um den weiteren freien Fluss von Waren post Brexit in Gang zu halten. Im Finanz- und Dienstleistungsbereich würden die Briten allerdings ihrer eigenen Wege gehen. Und Personenfreizügigkeit wäre nicht vorgesehen.
Eine solche Vereinbarung würde nach Überzeugung der EU freilich "nicht funktionieren" -das musste sich May zuletzt beim informellen EU-Gipfeltreffen in Salzburg von den EU-Staats- und Regierungschef mehrmals anhören. Und für die Tory-Rechte wäre ein solcher Deal ohnehin unannehmbar, weil er Großbritannien weiter an die EU "ketten" würde.
Brexit-Hardliner legen Alternativplan vor
Die Brexit-Hardliner haben darum am Montag ein Alternativ-Programm vorgelegt, bei dem sich Großbritannien ganz von der EU lösen und lediglich ein Freihandelsabkommen aushandeln würde. Gedacht ist an ein Abkommen der Art, wie es Kanada seit 2016 mit der EU hat - praktisch ohne Zolltarife, aber ohne sonstige Verbindlichkeiten.
Ein solcher "harter" Brexit würde indes, nach Ansicht Mays, weder Grenzkontrollen zum Kontinent überflüssig machen noch das Problem der irischen Grenze lösen, für das die EU eine Lösung verlangt. Die neue "Kanada-Offensive" wird unterstützt von Ex-Brexit-Minister David Davis und Ex-Außenminister Boris Johnson, die im Juli wegen "Chequers" zurück traten, sowie vom Chef-Brexiteer der Tory-Hinterbänkler, Jacob Rees-Mogg. Rees-Mogg glaubt, dass es mittlerweile "nur noch zwei Optionen" gibt in Sachen Brexit: nämlich die Aushandlung eines solchen Freihandels-Abkommens mit der EU in letzter Minute - oder ein Scheitern der Verhandlungen ganz ohne Deal.
Mays neuer Brexit-Minister Dominic Raab meinte dazu am Montag, ein Kanada-Deal stehe "nicht zur Debatte": "Wir können nicht von Plan zu Plan schwirren, wie eine Art diplomatischer Schmetterling." Bei einer gestern eilends anberaumten Kabinettssitzung sollen aber auch entsprechende Zweifel laut geworden sein.
Spekulationen, dass die bedrängte Premierminister noch in diesem Herbst Neuwahlen ausrufen könnte, um ihre Brexit-Pläne zu retten, widersprach Minister Raab unterdessen nachdrücklich. "Dazu wird es nicht kommen", sagte Raab. "Wir dürfen hier nicht die Nerven verlieren."
Referendum 2.0 als Minimalkonsens
Bei der Labour-Opposition verschärft sich zugleich der Kampf um die Frage, wo sich die Partei in den Brexit-Turbulenzen denn nun positionieren soll. Ein mühsam ausgehandelter Parteitagsantrag, der am morgigen Dienstag beschlossen werden soll, spricht davon, dass Labour "alle bestehenden Optionen unterstützen" müsse, falls es nicht zu Neuwahlen kommt - "einschließlich einer Kampagne für einen Volksentscheid".
Bei diesem neuen Volksentscheid aber, erklärte gestern der als der "starke Mann" der Partei geltende Schatten-Finanzminister John McDonnell, gehe es letztlich nur darum, auf welche Weise Großbritannien die EU verlasse. Genauso sehen das andere Alliierte von Parteichef Jeremy Corbyn und wohl auch Corbyn selbst. Brexit-Schattenminister Sir Keir Starmer und Parteivize Tom Watson widersprachen dem entschieden. Natürlich, sagten sie, müssten die Briten in einem solchen Referendum auch gefragt werden, ob sie lieber in der EU verbleiben wollten - zumal, wenn die Alternative ein für das Land schädlicher Brexit sei. Das ist auch Überzeugung einer überwältigenden Mehrheit von Labour-Aktivisten. Alles andere, empörten sich Labours Pro-Europäer gestern, "wäre glatter Betrug".
Tory-Premierministerin May wird parteiintern zum harten Bruch mit der EU fast genötigt - und Labour-Führer Corbyn zu einem zweiten Referendum.