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May vom Brexit besiegt

Von Siobhán Geets

Politik

Der Brexit-Hardliner Boris Johnson hat die besten Chancen, neuer Premierminister zu werden. Das macht einen ungeordneten EU-Austritt wahrscheinlicher.


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London. Solche Emotionen ist man von Theresa May nicht gewohnt. Es sei die Ehre ihres Lebens gewesen, ihrem Land als zweite weibliche Premierministerin zu dienen, sagte May am Freitag unter Tränen vor dem Regierungssitz in London. Sie bereue sehr, dass sie den Brexit nicht habe durchziehen können. "Ich habe es drei Mal versucht", so May in Anspielung auf ihr Austrittsabkommen, das im britischen Parlament drei Mal gescheitert war. Es sei nun Zeit, jemand anderem die Führung zu überlassen. Bis es so weit ist, werde sie die Amtsgeschäfte weiterführen.

Mays Abgang erfolgte nicht gerade freiwillig. In einem letzten verzweifelten Versuch, eine Mehrheit für ihr Austrittsabkommen zu erreichen, hatte sie am Dienstag ein Referendum darüber in Aussicht gestellt. Für Mays konservative Tories war es der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. So drohte der einflussreiche Hinterbänkler Graham Brady May mit einem neuen Misstrauensvotum, sollte sie am Freitag kein Datum für ihren Rücktritt nennen.

Am 7. Juni will May als Parteichefin der Tories zurücktreten - und damit auch ihren Posten als Premierministerin räumen. Am 3. Juni ist ein Besuch Donald Trumps geplant, May will den US-Präsidenten noch empfangen, bevor das Rennen um ihre Nachfolge beginnt.

Die besten Chancen darauf hat Boris Johnson. Laut einer Umfrage der "Times" wollen ihn 39 Prozent der Konservativen als neuen Premier. Der ehemalige Außenminister ist ein Brexiteer der ersten Stunde. Er war das Gesicht der erfolgeichen Leave-Kampagne vor dem Referendum von 2016.

Neoliberales Voodoo

Johnson gehört zum äußerst rechten Flügel der Tories. Die mächtige "European Research Group" (ERG) gilt als "Partei in der Partei", Johnson kann sich auf ihre Unterstützung verlassen. Der ERG ist die EU nicht neoliberal genug, sie will den Brexit nutzen, um den Finanzmarkt zu deregulieren und die Rechte von Arbeitnehmern aufzuweichen. Um den Handel anzukurbeln, sollen die Zölle auf Nahrungsmittel und Agrarprodukte abgeschafft werden. Kritiker bezeichnen das als "Voodoo Ökonomie" ("Times"), die hunderttausende Jobs kosten und den Lebensstandard dramatisch reduzieren würde.

Auch Johnson will einen möglichst harten Bruch mit der EU. Unabhängig und selbstgestimmt soll das Königreich wieder um die Welt segeln. Zollunion und Binnenmarkt will der ehemalige Brüssel-Korrespondent des "Daily Telegraph" verlassen. Zieht ein Hardliner wie Johnson in die Downing Street ein, wird eine Einigung mit Brüssel im Brexit-Streit noch unwahrscheinlicher. Ein No-Deal-Brexit, wie ihn die Hardliner von der ERG fordern, ist damit wieder wahrscheinlicher geworden.

In Geiselhaft der Hardliner

Unklar ist nun, ob und wann es zu Neuwahlen kommt. Die gespaltenen Tories seien nicht in der Lage, das Land zu führen, sagte Labour-Chef Jeremy Corbyn am Freitag - und forderte Neuwahlen.

Für die Konservativen ist das beim letzten Mal ordentlich schiefgegangen. Seit ihrem Absturz bei den vorgezogenen Parlamentswahl im Juni 2017 führt May eine Minderheitsregierung. Unterstützt wird sie von der nordirischen DUP, doch das reicht oft nicht. So lehnte auch die DUP Mays Austrittsabkommen ab.

May hat dennoch fast drei Jahre durchgehalten - drei Jahre, in denen sie vor allem mit den Brexit-Hardlinern in ihrer Partei zu kämpfen hatte. So klang May, die ursprünglich für einen Verbleib in der EU gewesen war, bald wie eine von ihnen. "Brexit heißt Brexit", "Ich werde den Brexit durchziehen", "Kein Deal ist besser als ein schlechter Deal" - mit Phrasen wie diesen, endlos wiederholt, brachte May die Proeuropäer unter den Konservativen rasch gegen sich auf.

Die Sturheit, mit der sie an ihrem Brexit-Abkommen festhielt, entfremdete schließlich auch ihre engsten Vertrauten. In der Hoffnung, dass die Abgeordneten ihrem Deal angesichts eines drohenden No-Deal-Brexit schon noch zustimmen würden, spielte May auf Zeit - und vergeudete wertvolle Wochen und Monate. Gebracht hat es nichts: Zwei Mal musste May in Brüssel um eine Verschiebung des EU-Austritts bitten, um einen chaotischen Brexit ohne Abkommen im letzten Moment zu verhindern.

In den vergangenen Monaten ist der Druck auf die Premierministerin noch einmal gestiegen. Nach und nach verlor sie die Kontrolle, aus den Kabinettstreffen sickerten fast täglich Informationen an die Öffentlichkeit.

Gespalten wie nie zuvor

Angetreten ist May eigentlich, um Partei und Land wieder zu einen. 52 Prozent der Wähler hatten im Juli 2016 für den EU-Austritt gestimmt, der Brexit spaltet auch die Tories. Ihre Partei wieder zusammenzubringen oder gar ihr gespaltenes Land wieder zu einen, ist May nicht gelungen, im Gegenteil: Die Konservativen sind gespalten wie nie zuvor - und die Nation befindet sich in der schlimmsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg.

Ob Theresa May als schlechteste Premierministerin aller Zeiten in die Geschichtsbücher eingehen wird, wie ihre Kritiker behaupten, wird sich erst zeigen. In Erinnerung bleiben wird sie als jene Premierministerin, die vom Brexit besiegt wurde.