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Der Widerstand gegen die Brexit-Pläne von Premierministerin Theresa May nimmt Fahrt auf.
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London/Wien. Der EU-Austritt Großbritanniens - eine einzige Katastrophe. Außenminister Boris Johnson und seine Kollegen aus dem Brexit-Lager - gehören ins Gefängnis für das falsche Versprechen, dass die Briten mit dem Austritt aus der EU jede Woche 350 Millionen Pfund sparen würden. James Chapman, Ex-Stabschef von Brexit-Minister David Davis und zuvor im Team des damaligen Finanzministers George Osborne, ergießt sich seit Mitte der Woche in einer regelrechten Tweet-Tirade gegen die Brexiteers unter den Tories.
Um den EU-Austritt zu blockieren, will der einflussreiche ehemalige Regierungsberater sogar eine neue Partei gründen. Im BBC-Radio behauptete er nun, die Unterstützung zweier Minister aus Mays Regierung zu haben. Auch ehemalige Kabinetts- und Schattenkabinettsmitglieder seien an ihn herangetreten. Zwar planten sie nicht, aus ihren Parteien auszutreten, doch hätten sie erkannt, dass sich ein riesiger Riss durch diese ziehe.
Die Idee zur Gründung der "Democrats" im Zentrum des politischen Spektrums kam Chapman im Urlaub in Griechenland. Auf die Frage nach dem Motiv für seine wütenden Tweets erklärte er dem "Guardian", sich zu Wort zu melden, "weil die Uhr tickt" - immerhin scheidet das Vereinigte Königreich im März 2019 aus der EU aus, ob mit der ohne Wirtschaftsabkommen mit Brüssel.
Laut Chapman sind führende Mitglieder der Tories, aber auch der sozialdemokratischen Labour-Partei, "paralysiert" und wagten es nicht, sich gegen den Brexit auszusprechen: "Sie fürchten sich davor, als Saboteure dargestellt zu werden, die den Willen des Volkes missachten." Dabei liege es an den Parlamentariern, einen Verbleib Großbritanniens im Binnenmarkt der EU zu erzwingen - "die Regierung muss ihren Standpunkt ändern". Ansonsten, so Chapman, würde May mit ihrem Brexit-Plan die Wirtschaft des Landes gegen die Wand fahren.
Pfund auf Drei-Wochen-Tief
Dass der EU-Austritt die 2128 Milliarden Euro schwere Volkswirtschaft Großbritanniens nicht ausbremsen wird, behaupten zwar nur noch die Hardliner unter den Brexiteers. Doch zeugen die harschen Worte des ehemaligen Tory-Spindoktors davon, wie katastrophal uneinig die britischen Konservativen mittlerweile sind. Bei den Tories, aber auch Labour, hätten die Fundamentalisten der Partei die Macht übernommen, sagt Chapman. Immerhin seien vor dem Brexit-Referendum im Juni vergangenen Jahres noch 60 Prozent der Tories im Parlament für den Verbleib in der EU gewesen.
All das heißt zwar nicht, dass es bei den britischen Konservativen bald zu einer Meuterei kommen wird. Doch werden auch die Tories zunehmend nervös angesichts des an Lethargie grenzenden ziellosen Brexit-Kurses der Regierung. Der Unmut mit Premierministerin May ist kein Randphänomen mehr. Viele Tories haben erkannt, dass ihr Scheitern bei den vorgezogenen Neuwahlen, die wertvolle Zeit gekostet haben, und ihr unkoordiniertes Vorgehen beim Brexit der Partei nachhaltig schaden könnten.
Chapman ist gar überzeugt davon, dass die Konservativen wegen des Brexit-Fiaskos überhaupt keine Mehrheiten mehr gewinnen werden. Sollte May ihren harten Brexit durchziehen, "wird die konservative Partei nie wieder an die Macht kommen".
Schon jetzt leidet die Wirtschaft des Landes unter den Unsicherheiten. Am Freitag befand sich das britische Pfund auf einem Drei-Wochen-Tief. Mehr als 13 Prozent hat die Währung an Wert eingebüßt, seit sich die Briten dafür entschieden haben, die EU zu verlassen. Hinzu kommt die Unsicherheit, in die die Regierung das Land gestürzt hat. Scheidet Großbritannien bei einem harten Brexit sofort aus dem Binnenmarkt aus oder wird es eine Übergangsfrist geben? "Damit Unternehmen vorausplanen können, müssen sie wissen, welche Route die Regierung verfolgt", warnt der Industrieverband.
Auch den britischen Unternehmen geht die Geduld aus. Sie bitten May um Klarheit darüber, wie sich die Scheidung von der EU gestalten wird. Spätestens im Oktober, vor dem großen Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs, muss sie ihre Brexit-Strategie auf den Tisch legen. Die drei wichtigen Punkte - Bürgerrechte, Nordirland und die Rechnung, die London noch an Brüssel zahlen muss - bleiben auch 14 Monate nach dem Referendum ungeklärt. Erst, wenn es Antworten auf diese Fragen gibt, können die eigentlichen Verhandlungen angegangen werden. Erst danach kann über künftige Wirtschaftsbeziehungen gesprochen werden.
"Dumm wie Faschiertes"
Sollte May dann noch Premierministerin sein, geht sie nicht gerade gestärkt in die Verhandlungen mit der EU. Für ihren Verbleib im Amt spricht nicht nur der Mangel an potenziellen Nachfolgern. Ein zweiter Wechsel an der Regierungsspitze innerhalb von nur einem Jahr wäre ein denkbar schlechtes Signal nach innen wie außen.
Auch wenn eine Meuterei bei den Tories derzeit unwahrscheinlich ist - zumindest der Brexit-Kurs der Premierministerin könnte ernsthaft in Gefahr geraten. May selbst ist derzeit auf Urlaub, Stellvertreter hat sie keinen ernannt. Kaum war sie weg, fingen die Tories an, sich gegenseitig zu zerfleischen: Ein Verbündeter Johnsons bezeichnete die Angst vor dem Brexit als hysterische Panikmache, während der Chef der Leave-Kampagne, Dominic Cummings, Brexit-Minister Davis "dumm wie Faschiertes, faul wie eine Kröte und eitel wie Narziss" nannte.
Und jetzt auch noch Chapman - die Stimmung wird zunehmend feindseliger. Ausgeschlossen scheint im Moment nichts. Immerhin hat auch die Meuterei auf der "Bounty" mit heftigen Debatten an Deck begonnen.