Premierministerin konnte sich bei Personalia nicht durchsetzen.
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London. Mit einer "radikalen Kabinettsumbildung" hoffte die britische Premierministerin zum Jahresbeginn ihre angeschlagene Autorität zu stärken und die Wahlschlappe vom letzten Sommer vergessen zu machen, die Theresa May ihre Mehrheit im Unterhaus gekostet hatte. Die lang geplanten Veränderungen in der Regierung führten aber zu einem erneuten Fehlschlag. Wie sich zeigte, verfügt May schlicht nicht mehr über genug Einfluss, um ihren Top-Ministern neue Posten zuzuweisen.
Gesundheitsminister Jeremy Hunt, einer der Spitzenkandidaten der Konservativen für die May-Nachfolge, weigerte sich, sein Amt aufzugeben und auf einen anderen Kabinettssessel zu wechseln. Als Hunt vorgeladen wurde, um sein Schicksal zu erfahren, redete er so lange auf May ein, bis die ihn gegen alle ursprüngliche Absicht im Amt bestätigte - und zusätzlich die Verantwortung für Sozialfürsorge übertrug. Auch Bildungsministerin Justine Greening, die das Arbeits- und Rentenministerium übernehmen sollte, sträubte sich und trat zurück. Bei Außenminister Boris Johnson, Brexit-Minister David Davis und Finanzminister Philip Hammond, die sie alle drei gern ersetzt hätte, versuchte es die Regierungschefin erst gar nicht, weil sich alle gegen eine Versetzung wehrten. Auch Innenministerin Amber Rudd, Außenhandelsminister Liam Fox und andere zentrale Figuren des Kabinetts blieben im Amt.
"Ist das alles?", fragte Sir Nicholas Soames, ein prominenter Tory-Parlamentarier (und Enkel Winston Churchills) lakonisch. Von einer "radikalen Kabinettsumbildung" könne man wohl kaum sprechen, klagten auch andere Mitglieder der konservativen Fraktion. "No, Prime Minister!", erklärte die rechte "Daily Mail", während die konservative "Times" eine "chaotische Umbildung" bemängelte. Gefragt, ob sich die Konservativen im Chaos befänden, erklärte der neue Generalsekretär der Partei, Brandon Lewis zögernd: "Nicht ganz und gar." Ex-Tory-Parteichef Iain Dunkan Smith vermutete, dass die "wirklich große Kabinettsumbildung" erst noch komme - vielleicht im Herbst 2018. Beobachter in allen Lagern sind sich allerdings darin einig, dass die zweitägige Regierungsumbildung gänzlich inkompetent gehandhabt wurde und Frauen und Vertreter ethnischer Minderheiten weiter stark unterrepräsentiert bleiben. Nur auf den unteren Rängen der Regierung, bei den Staatssekretären, brachte May neue Namen ins Spiel.
Pro-Europäer besetzt wichtigen Posten
Interesse fand die Neubesetzung des wichtigen Postens, den jüngst Sir Damian Green, ein enger Vertrauter Mays, hatte räumen müssen, weil er zu einer Porno-Affäre unwahre Angaben gemacht hatte. Neuer "Minister im Kabinettsamt", und damit Chef-Koordinator der Regierungsarbeit, ist der Ex-Justizminister David Lidington, ein moderater Politiker und ausgesprochener Pro-Europäer der Konservativen. Während der EU-Referendumskampagne 2016 hatte er sich für den Verbleib seines Landes in der EU eingesetzt.
Lidington wird nun in zahlreichen Regierungsausschüssen, die sich mit dem Brexit beschäftigen, den Vorsitz führen. Mit Lidington hat May ein Gegengewicht zu den Brexit-Hardlinern des Kabinetts geschaffen. Wegen schwerer Erkrankung musste Nordirland-Minister James Broklenshire aus dem Amt ausscheiden. Seine Nachfolge tritt die bisherige Kultusministerin Karen Bradley an. Nordirland hat ein Jahr lang keine Regionalregierung gehabt, weil sich Republikaner und Unionisten nicht haben einigen können.