Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 5 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
In London geht es derzeit mehr um die Premierministerin als um den unmittelbar bevorstehenden Brexit. Außenminister Jeremy Hunt legt ein Wort für Theresa May ein: Jeder Premier hätte es in dieser Situation schwer gehabt, man solle nicht so tun, als ginge es um sie. Aber das tut es. May steht einer Lösung im Brexit-Streit im Weg.
Seit mehr als zweieinhalb Jahren ist die Pastorentochter nun schon Premierministerin. Fast genauso lange heißt es, dass Mays Tage bald gezählt sind. Ihre eigenen konservativen Tories demütigen sie regelmäßig, sie hat beide Parteienflügel, das britische Parlament und die EU gegen sich aufgebracht. Ans Aufgeben denkt May dennoch nicht.
Rückblickend fällt es schwer festzustellen, ob die Tory-Chefin je in irgendeiner Sache richtig gehandelt hat. Anstatt zu versuchen, ihr Land zu einen, hat sie es immer weiter in ein Labyrinth geführt. Anstatt das Parlament von Anfang an einzubeziehen und nachzufühlen, für welche Art von EU-Austritt es eine Mehrheit gibt, hat die Parteisoldatin versucht, die Hardliner unter den Tories zufriedenzustellen - und sich damit Alternativen für eine engere Bindung an die EU verbaut. Im Bestreben, die Tories zusammenzuhalten, hat May das Gegenteil erreicht. Sie hat die Partei über die Interessen des Landes gestellt und beide Schlachten verloren. Die Tories sind gespalten, May ist am Ende, das Land in der politischen Krise.
Mit ihrem Plan, den Brexit maximal bis Ende Juni zu verschieben, hat May erneut beide Tory-Flügel vergrault. Den Brexiteers kann der EU-Austritt nicht schnell genug gehen. Und das EU-Lager hält eine so kurze Verschiebung für sinnlos.
Doch Brüssel wehrt sich ohnehin gegen eine Vertagung des EU-Austritts über den 12. April hinaus. Zuerst soll sicher sein, dass es in London zu einer Lösung kommt. Doch das ist mit Westminster nicht zu machen, es ist alles andere als sicher, dass die Abgeordneten Mays Austrittsabkommen beim nächsten Versuch durchwinken würden.
Die verbleibenden Mitgliedstaaten sollten einer Verschiebung des Brexit trotzdem zustimmen - zumindest bis zu den EU-Wahlen Ende Mai. Nach allem, was geschehen ist, darf es nicht an Brüssel hängenbleiben, sollte Großbritannien Abkommen aus der EU schlittern. Eine Neuverhandlung des Brexit-Deals ist ausgeschlossen, doch in drei Monaten kann viel geschehen. Solange es Möglichkeiten für eine Annäherung gibt, sollten sie genutzt werden. Voraussetzung für eine Lösung ist allerdings ein Entgegenkommen Mays. Sie muss sich endlich den Abgeordneten in London stellen und nachfühlen, welche Optionen für künftige Handelsbeziehungen es gibt. Denkbar ist etwa eine überparteiliche Mehrheit für den dauerhaften Verbleib in der Zollunion. Der unbeliebte Backstop wäre damit obsolet.