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Mazedonien in Aufruhr

Von WZ-Korrespondent Krsto Lazarevic

Politik

Präsident Djordje Ivanov verkündete vergangene Woche eine juristische Amnestie für die korrupten Politiker des Landes. Seitdem fordern Demonstranten den Rücktritt des Präsidenten und Neuwahlen.


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Skopje. In der Fontäne unter der Reiterstatue Alexander des Großen in Skopje fließt künstliches Blut. Aktivisten haben das Wasser gefärbt, um auf die Opfer des mazedonischen Regimes aufmerksam zu machen. Sie fordern einen Rücktritt des Präsidenten Djordje Ivanov, der alle 56 in einen umfangreichen Korruptions- und Abhörskandal verwickelten Politiker und deren Mitarbeiter amnestiert hat. Ivanov gab als Begründung an, er habe damit die Lage vor den am 5. Juni anstehenden Neuwahlen beruhigen wollen. Doch das Gegenteil trat ein: Der Präsidentenpalast wurde angegriffen, fast jeden Abend kommt es zu Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften.

Ursprünglich wollten die protestierenden Bürgerverbände auch zum geplanten Krisentreffen der vier wichtigsten mazedonischen Parteichefs reisen, das am Freitag unter EU-Führung in Wien stattfinden hätte sollen. Doch die EU-Kommission sagte die Gespräche am Donnerstag ab.

Keine fairen Wahlen

"Durch die Amnestie werden alle Mitglieder der korrupten politischen Elite einfach begnadigt. Das ist ein riesiger Skandal. Ich bin gespannt, wie sich die EU diesmal dazu verhält", sagt Kire Vasilev, der gegen die Regierung demonstriert. Er erhofft sich, dass die EU mehr Druck auf die mazedonischen Machthaber ausübt. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) wurde in seiner Bewertung der Vorgänge undiplomatisch deutlich: "Die Entscheidung des mazedonischen Staatspräsidenten, Politiker und Amtsträger von strafrechtlicher Verfolgung freizustellen, beschädigt rechtstaatliche Standards und den Rechtsfrieden."

Nikola Gruevski firmierte als Regierungschef, und es ist ein offenes Geheimnis, dass er die Amnestieregelung orchestriert hat. Obwohl er bereits zurückgetreten ist, soll er noch immer die politischen Fäden in Mazedonien ziehen. Am 5. Juni will sich Gruevski wieder als Regierungschef wählen lassen, nachdem er auf Druck der EU vorläufig zurücktrat. Die größte Oppositionspartei, die Sozialdemokratische Liga Mazedoniens (SDSM), und andere Parteien wollen nicht antreten, weil die Regierungspartei sich nicht an einen von EU-Kommissar Johannes Hahn vermittelten Kompromiss halte. Der sieht vor, dass eine unabhängige Übergangsregierung die Bedingungen für faire und freie Wahlen schafft.

Doch die Regierung kontrolliert die Medien, verwendet falsche Wahllisten und droht Staatsdienern mit Kündigung, sollte die Opposition bei den Wahlen siegen. "Unter diesen Bedingungen können am 5. Juni keine fairen Wahlen stattfinden", sagt der mazedonische Politologe Artan Sediku. Er fordert eine Verschiebung der Wahl und eine neue Verhandlungsrunde zwischen Opposition und Regierung.

Doch Sediku glaubt nicht, dass das passieren wird. Das Land befinde sich seit 2012 in einer Staatskrise, was vor allem an den autoritären Tendenzen der regierenden VMRO-DPMNE liege. Die Partei habe den Staat gefangen genommen und kontrolliere Medien und Wirtschaft, sagt der Politologe. Eine Mitschuld daran trage aber auch die EU: "Gruevski wurde von der EU lange als einziger Akteur angesehen, der Stabilität bringen könne, auch wenn diese mit undemokratischen Methoden erreicht würde. Die EU räumte der Stabilität immer eine größere Priorität ein als der Demokratie."

Zu Gegenprotesten gekarrt

Dank der Amnestie könnten fünf Strafverfahren eingestellt werden, die gegen den ehemaligen Premierminister Nikola Gruevski laufen. Auch die zwei Verfahren gegen den Oppositionsführer Zoran Zaev sollen eingestellt werden. Insbesondere die Amnestie beurteilt Sediku kritisch: "Damit wurde der endgültige Schritt in Richtung eines autoritären Regimes getan. Nun stehen sich auf der Straße zwei polarisierte Gruppen gegenüber." Auf der einen Seite: eine Mischung aus diversen Organisationen, Bürgern und Oppositionsparteien. "Auf der anderen Seite die Regierungspartei mit ihrer Maschinerie an korrumpierten Beamten im Staatsapparat, die zu Gegenprotesten gekarrt werden", erklärt Sediku.

Manche Kritiker glauben, in Brüssel habe man wegen der Flüchtlingskrise beide Augen zugedrückt und nach Kompromissen mit Gruevski gesucht. Tatsächlich wurde die Schließung der Balkanroute erst durch die mazedonische Grenzschließung möglich. Dafür gab es viel Lob aus Brüssel. Insbesondere die Vertreter der Europäischen Volkspartei halten sich mit Kritik am System Gruevski vornehm zurück. Nachdem die EU lange Zeit auf Stabilität in Mazedonien gesetzt hat, ist es mit dieser endgültig vorbei.