Frankfurt/Main - Als am 11. September in New York die Flugzeuge in das World Trade Center rasten, war die Welt live dabei. Die mediale Präsenz war wohl von den Terroristen eingeplant, die Öffentlichkeit bekam genau das zu sehen, was sie nach dem Willen der Täter sehen sollte. Mit dem Beginn der Militärschläge gegen Afghanistan geht dieses Spiel weiter: Journalisten müssen der Gefahr entgegentreten, dass ihre Berichterstattung von den Konfliktparteien gesteuert wird.
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"In der jetzigen Konfliktsituation sind die Medienberichte ein zentrales taktisches und strategisches Mittel für alle Beteiligten", warnt der Generaldirektor des Europäischen Medieninstituts in Düsseldorf, Jo Groebel. Die Balance zwischen Informationspflicht und zusätzlichem Eskalationsrisiko müsse genau abgewogen werden. Groebel sieht die Gefahr, dass sich Medien unfreiwillig zum Sprachrohr des Terroristenführers Osama bin Laden machen.
Als Beispiel nennt er das Video, das der Fernsehsender "El Dschasira" Sonntag nach dem Beginn der Militärschläge ausgestrahlt hatte. Darin gab Bin Laden eine Erklärung ab und rief Moslems in aller Welt zum Heiligen Krieg auf. Mit der Ausstrahlung des Videos ohne redaktionelle Einbettung könnten Medien unfreiwillig zu weiterer Mobilisierung noch ruhender Gefolgsleute beitragen, befürchtet Groebel. "Der Informationspflicht kann auch dadurch gedient werden, indem man Ausschnitte zeigt und den Wortlaut sinngemäß wiedergibt."
Bei den Offenen Kanälen in Deutschland hat diese Angst bereits Wirkung gezeigt. Im Offenen Kanal Offenbach-Frankfurt wurde am Montagabend der Sendung "Saeed direkt Kleine Kriege - große Kriege" von der Hessischen Landesanstalt für privaten Rundfunk die Sendeberechtigung entzogen. Begründet wurde dies mit der "akuten Gefährdungslage". Da es sich um eine Sendung handle, in der jeder live anrufen könne, wäre es auch vom Moderator "nicht steuerbar" gewesen, rundfunkrechtlich problematische Äußerungen auszuschließen., hieß es.
Peter Widlok von der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten erklärte, da bei den Offenen Kanälen die Produzenten, die keine professionellen Journalisten seien, für ihre Sendungen verantwortlich seien, würden Live-Sendungen nur gelegentlich mit erheblichen Vorsichtsmaßnahmen genehmigt. Wegen der problematischen Verantwortungslage sei es "durchaus berechtigt, solche Sendungen zu untersagen, wenn eine Gefährdungslage vorliegt".
Die Frage, inwieweit damit das Recht auf freie Meinungsäußerung und Berichterstattung eingeengt wird, stellt sich ebenso bei der professionellen Berichterstattung über Kriegsgeschehen. "Es ist abzusehen, dass als erstes die Wahrheit auf der Strecke bleiben wird", sagt Ulrike Kaiser, Chefredakteurin des Magazins des Deutschen Journalistenverbands, "Journalist"
Denn in unguter Erinnerung ist die Berichterstattung aus dem Golfkrieg 1991, als nur eine Gruppe ausgewählter Korrespondenten aus den Einsatzgebieten der US-Streitkräfte berichten durfte, wobei die Texte vor der Veröffentlichung einer "Sicherheitsüberprüfung an der Quelle" unterzogen wurden. Nach den jetzt erfolgten ersten Militärschlägen bleibt den Journalisten, die sich überwiegend fernab des direkten Geschehens befinden, hauptsächlich übrig, Aussagen von Taliban und westlichem Militär einander gegenüber zu stellen - etwa divergierende Angaben über zivile Opfer.
Das Hauptproblem sei, dass kaum jemand in Kabul vor Ort sei, erklärt Medienwissenschaftler Dietrich Leder. Die ersten Bilder, die es von den Angriffen gegeben habe, seien "absolut nichts sagend" gewesen. Die Fragen der Fernsehmoderatoren an ihre hunderte Kilometer vom Geschehen entfernten Korrespondentenkollegen in Afghanistan und Pakistan seien eine "Annäherung an eine mögliche Augenzeugenschaft" gewesen. Bei den Bildern, die man zu sehen bekomme, müsse man sich "immer fragen: Was enthalten die, kann es wirklich das sein, was es darstellen soll?".
Laut Kaiser bleibt Journalisten in Kriegszeiten nichts anderes übrig, als immer wieder darauf hinzuweisen, "dass wir versuchen, nach unseren Möglichkeiten an Informationen zu kommen, dabei aber eingeschränkt sind". So wies die "Frankfurter Rundschau" in ihrer Dienstagausgabe ihre Leser darauf hin, dass eine unabhängige Überprüfung der von den Konfliktparteien zensuriert verbreiteten Informationen in vielen Fällen nicht möglich sei.