Wenn Wikileaks Dokumente mit geheimen Inhalten veröffentlicht, werden diese zielgerichtet an bestimmte Medien übermittelt. Jene Medien, die von Wikileaks Dokumente bekommen, müssen sich fragen, ob sie diese überhaupt verwenden dürfen. Aus juristischer Sicht ist dies nicht mit letzter Sicherheit zu beantworten. Geht man davon aus, dass jene Medien, denen die Informationen zugespielt werden, nicht an der Auskundschaftung beteiligt waren, so ist trotz der widerrechtliche Beschaffung der Informationen gegen die nachfolgende Nutzung durch einen gutgläubigen Dritten (Medium) rechtlich nichts einzuwenden.
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Denn: Ist das geheime Dokument und die dort enthaltene Information bereits "öffentlich zugänglich" - dies ist dann der Fall, wenn es nicht mehr auf jenen Personenkreis beschränkt ist, für den es ursprünglich bestimmt war - ist seine Zweitverwertung grundsätzlich unschädlich. Ein Geheimnis gilt in diesem Sinn auch bereits dann als veröffentlicht, wenn es nur einer Hand voll von Personen, die aber nicht zum Kreis der Geheimnisträger gehören, bekannt wird. Eine qualifizierte Öffentlichkeit im Sinne einer Veröffentlichung durch die Medien ist in der Regel nicht erforderlich.
Durch die Weitergabe der Unterlagen an Wikileaks und dann durch Weitersendung der Unterlagen an Medien durch Wikileaks ist der Kreis der Geheimnisträger jedenfalls überschritten. Daher ist - sofern keine Beteiligung am ursprünglichen Geheimnisverrat vorliegt - ein Geheimnisverrat durch das Medium nach österreichischem Rechtsverständnis nicht gegeben. Dessen ungeachtet greifen aber alle Normen, die auch bei "normaler" journalistischer Berichterstattung einzuhalten sind, also insbesondere Wahrung der journalistischen Sorgfalt und Schutz der Persönlichkeitsrechte allfällig Betroffener.
Wie weit muss ein Medium eigenständig prüfen, ob die von Wikileaks als "Originaldokumente" übermittelten Unterlagen tatsächlich aus der angegebenen Quelle stammen? Soweit bekannt beantworten US-Behörden die Frage nach der Authentizität der Dokumente nicht. Insofern wird durch ein Medium abzuwägen sein, ob beispielsweise eine angebliche E-Mail-Depesche aus der US Botschaft echt ist oder vielleicht nicht. Je nach Brisanz des Dokuments besteht ein höherer oder niederer Grad der Nachforschungspflicht.
Das Veröffentlichen derartiger Dokumente kann Rechtsfolgen nach verschiedenen Rechtsordnungen bedeuten. Der wiederverwertende Journalist muss nicht nur sein Heimatrecht beachten, sondern auch das Recht der Staaten, die von den Wikileaks-Dokumenten betroffen sind, sowie das Recht der Länder, in denen seine Publikation konsumiert wird oder werden soll. So kann zum Beispiel eine Wiederverwertung durch ein Medium in Österreich unbedenklich sein, während türkisches Recht einen strengeren Maßstab anlegt.
Ferdinand Graf ist Partner der Wiener Rechtsanwaltskanzlei Graf & Pitkowitz.