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Mediendämmerung

Von Konrad Paul Liessmann

Gastkommentare
Der Autor ist ein österreichischer Philosoph, Essayist und Kulturpublizist. Er ist Universitätsprofessor für "Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik" an der Universität Wien.
© Heribert Corn

Eine Neugründung der "Wiener Zeitung" wäre ein Gebot der Stunde.


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Der Tod der Zeitung wird immer wieder vorausgesagt. Eingetreten ist er bislang nicht. Willentlich und ohne Not wurde lediglich das Ende der "Wiener Zeitung" herbeigeführt. Auf ein Alleinstellungsmerkmal wie "älteste noch existierende Tageszeitung der Welt" zu verzichten, demonstriert dabei weniger einen Willen zum Neuen, als vielmehr ein Misstrauen gegenüber der Geschichte und der Idee der Pressefreiheit. Dass sich im Zeitalter der digitalen Kommunikation Tageszeitungen, gar solche auf Papier, erübrigt hätten, ist dabei eine These, die paradoxerweise umso falscher wird, je raffinierter und leistungsfähiger die Instrumente der Künstlichen Intelligenz werden, die zunehmend unsere medialen Produkte bestimmen.

Wie das Geld leben auch Medien von einer wesentlichen Disposition: Vertrauen. Die klassische Informationsflut wird mittlerweile flankiert von einer undurchsichtiger werdenden Quellenlage und der wachsenden Schwierigkeit, zwischen realitätsnahen und fingierten Dokumenten überhaupt unterscheiden zu können. Wenn allgemein zugängliche Programme jede Stimme imitieren, wirklichkeitsgetreue visuelle Fälschungen generieren und Texte aller Art produzieren können, gleicht die Suche nach verlässlichen Nachrichten im Internet einer Fahrt im Diffusen: Mediendämmerung. Es erscheint nahezu zwingend, dass man unter solchen Bedingungen noch am ehesten dem traut, was die eigene Weltsicht bestätigt. Dafür gibt es für jeden genug im Netz. Das Denken bewegt sich im Kreis. Die Alternative wäre, an allem prinzipiell zu zweifeln. Das machte das Leben nicht leichter.

Die klassische Zeitung könnte ihre Funktion unter diesen Bedingungen neu definieren: nicht als Informationsfilter, sondern als Wegweiser durch den Dschungel wuchernder Meldungen. Garantiert werden müsste dieser Anspruch durch die Integrität, Kompetenz und Verlässlichkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in neuesten Technologien ebenso bewandert sind wie in der Kunst unvoreingenommener Recherche. Keine einfache und vor allem keine billige Aufgabe. Man könnte den beliebten Haltungsjournalismus übrigens als Versuch sehen, sich diesem Anspruch zu entziehen und der neuen Unübersichtlichkeit dennoch etwas entgegenzusetzen. Geholfen ist damit allerdings nur jenen, die diese Haltung ohnehin teilen.

Ein avancierter journalistischer Ansatz drückt sich auch in der Form aus. Eine herkömmliche analoge Ausgabe, aber auch deren elektronisches Äquivalent, hält eine Nachricht, einen Bericht, eine Reportage, einen Gedanken in einer unverrückbaren Gestalt fest. Diese ergänzt und konterkariert die fluiden, flüchtigen, pausenlos aktualisierten, uferlosen Spielarten digitalisierter Kommunikation. Das Begrenzte und Fixierte des gedruckten Wortes mag dem raschen Wechsel der Ereignisse nachhinken, erlaubt und erfordert aber eine andere Weise der Vertiefung, der Auseinandersetzung und der Reflexion. Ihre Funktion als Kontrollinstanz in einer Demokratie können ambitionierte Medien nur übernehmen, wenn sie auch diese Art des Diskurses pflegen, durchaus in kritischer Absicht der eigenen Branche gegenüber. Die Freiheit des Wortes beweist sich an jenen Texten, die nicht der Blattlinie entsprechen.

Die zweifellos mühsame Etablierung verlässlicher und vertrauenswürdiger Nachrichten- und Diskussionsportale zur Herstellung einer politischen Öffentlichkeit gehörte zu den Kernaufgaben einer zeitgemäßen Medienpolitik, die der grassierenden geistigen Verwahrlosung etwas entgegensetzen wollte. Sie muss dies nicht unbedingt selbst bewerkstelligen, aber sie sollte es gezielt fördern und unterstützen.

Mit einem Wort: Eine Neugründung der "Wiener Zeitung" wäre ein Gebot der Stunde.