Das derzeitige Inskriptionschaos ist hausgemacht. Die Überraschung über das EuGH-Urteil zum Hochschulzugang hält sich in Grenzen. Seit Jahren war bekannt, dass die EU-Kommission in der Art, wie Österreich europäische Studienwerber behandelt, eine Verletzung des Diskriminierungsverbots sieht.
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Seit Anfang dieses Jahres, als der Generalanwalt seine Empfehlung abgab, war zu erwarten, dass sich der EuGH dieser Meinung anschließen wird. Doch bis zuletzt hat die Regierung die Illusion genährt, es würde sich nichts ändern, man könne am Status quo festhalten.
Diese Vogel-Strauß-Politik hat nun ein vorhersehbares Chaos bewirkt. Innerhalb weniger Wochen sind die Universitäten gezwungen, Aufnahmeverfahren für jene Fächer zu entwickeln, in denen sie ab dem kommenden Semester Kapazitätsobergrenzen festlegen dürfen - und angesichts des tatsächlichen Andrangs aus Deutschland auch müssen. Ist es verwunderlich, dass viele der nun produzierten Schnellschüsse - z.B. "First come, first serve" - den Anforderungen an ein leistungsorientiertes und gerechtes Verfahren nicht entsprechen? Studentenfunktionäre sehen nun nicht nur einen "Lebenstraum zerplatzen" (ÖH-Slogan), sie sehen sich auch in ihrer Überzeugung bestätigt, dass jedes Zulassungsverfahren auf Willkür beruht.
Die Regierung behauptet, die Universitäten hätten sich besser auf den "Tag X" vorbereiten können. Aber dies hätte im Verborgenen geschehen müssen und wäre mit dem Odium halb legaler Machenschaften behaftet gewesen, denn bis vergangene Woche galt ja (für Österreicher) der offene Hochschulzugang.
Viel schlimmer als das Chaos des Systemwechsels, das vermutlich in ein, spätestens zwei Jahren einer neuen Routine Platz gemacht haben wird, ist der antieuropäische Furor, der nun um sich greift. Eine nationale Bunkerstimmung, bislang Merkmal schlecht qualifizierter Modernisierungsverlierer, greift auf die Bildungsschicht über: Wir Österreicher - so der Grundtenor - hatten ja ein erstklassiges System, aber die böse EU drückt uns nicht nur die Gurkenkrümmung, sondern auch die deutschen Numerus Clausus Flüchtlinge aufs Auge.
Das ist die Folge einer Politik, die der frühere EU-Kommissar Fischler kürzlich als Kernproblem im Verhältnis zwischen Mitgliedsstaaten und EU bezeichnete: alle Wohltaten reklamieren die nationalen Regierungen für sich, für alle unpopulären Maßnahmen wird Brüssel verantwortlich gemacht. Natürlich wusste man auch im Ministerium, dass der offene Hochschulzugang auf Dauer nicht haltbar ist. Haben wir den Publizistenskandal vom vergangenen Herbst schon vergessen? Oder die K.o.-Prüfungen, die an den Medizinischen Universitäten, auch ohne lästige Piefkes, bereits Routine geworden sind? All das waren hausgemachte Probleme. Die Rektoren der vollrechtsfähigen Universitäten hätten dieses System nicht mehr lange akzeptiert. Aber wozu aus eigener Kraft etwas ändern, wenn man den Schwarzen Peter der EU zuschieben kann?
Die Bildungsministerin versteht die ganze Aufregung nicht: am offenen Hochschulzugang werde sie festhalten, die Beschränkungen seien provisorischer Natur. Nun gut, sie hat auch drei Wochen vor Einführung der Studiengebühren garantiert, dass sich am kostenlosen Studium nichts ändern werde.
Der Autor ist Leiter der Abteilung "Hochschulforschung" der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (IFF) an der Universität Klagenfurt.