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Medizin von morgen

Von Wolfgang Liu Kuhn

Wirtschaft

Die Steiermark spielt in der Pharma- und Medizintechnik eine wesentliche Rolle. Ein führendes Forschungszentrum wird weiter ausgebaut.


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Graz. Medizin auf Knopfdruck - das ist eine Vision, die in der Zukunft liegt. Denn bis ein Medikament fertig entwickelt ist, dauert es zwischen 12 und 13 Jahre, bei Entwicklungskosten zwischen 2 und 3 Milliarden Euro. Der Weg zum Medikament führt über viele Experimentreihen, was Geld und vor allem Zeit kostet. Zeit, die Patienten oft nicht haben.

In Graz wird daran gearbeitet, personalisierte Medikamente rascher auf den Markt zu bringen. Die Research Center Pharmaceutical Engineering GmbH (RCPE) hat eine im vergangenen Jahr eröffnete Pilotfabrik mit Investitionen von rund 5 Millionen Euro erweitert. Mit einer neuen Maschine, einer "kontinuierlichen Pulververfahrensanlage" mit dem Namen Consigma CTL 25, können aus Pulver beschichtete Tabletten auch in Kleinmengen hergestellt werden.

"Mit der neuen Anlage und dem neuen Prozessraum können wir modernste Simulationen, neueste Sensoren und Formulierungen unverzüglich in der Praxis testen und auswerten", erklärt Johannes Khinast, wissenschaftlicher Leiter des RCPE. "Dadurch können Wirkstoffe und Medikamente schneller und sicherer entwickelt und hergestellt werden."

Konkret wird am RCPE nicht an den Wirkstoffen geforscht, sondern an der Verabreichungsform und der Anwendungsmethode. Der Fokus liegt auf Herstellungsverfahren für Tabletten und Kapseln und auf Plattformtechnologien. Es geht um die jeweilige Beschaffenheit der Medikamente.

Maßgeschneiderte Gestaltung

Ein Beispiel dafür sind "Glued Pills", Tabletten mit mehreren Wirkschichten, deren Herstellungsverfahren zusammen mit der steirischen Firma M&R Automation entwickelt wurde. Die geklebten Tabletten können in der Geriatrie eingesetzt werden, wenn Ärzte und Pflegepersonal auf besondere Bedürfnisse älterer Patienten wie Schluckbeschwerden oder auch Demenz reagieren müssen. Im Mittelpunkt steht die personalisierte Medizin, wobei die "Compliance" des Patienten die Schlüsselfunktion zu einer erfolgreichen Therapie darstellt. In der Geriatrie kann es unter Umständen zu Verwechslungen der Medikamente kommen, da Patienten oft an mehreren Erkrankungen leiden, etwa an Herz-Kreislauf Erkrankungen oder Diabetes.

Über- und Unterdosierungen führen wiederum zu komplexen Wechselwirkungen verschiedener Wirkstoffe. Mit einer maßgeschneiderten Gestaltung eines Präparats wird das Risiko von Nebeneffekten bei gleichzeitiger Erhöhung der Compliance verringert. Ähnliches gilt für die Kinderheilkunde, bei der die Optimierung von Wirkstoffmolekülen bei Inhalationspräparaten aufgrund des kleineren Lungenvolumens im Mittelpunkt steht.

Die größte Herausforderung für die Arzneimittelproduktion ist die Flexibilisierung. Bisher wurden riesige Stückzahlen von Tabletten in einzelnen Chargen produziert. Dadurch verringert sich die Anzahl möglicher Varianten erheblich. Mit den Verfahren und Prozessen, die das RCPE entwickelt, lassen sich auch kleinere Mengen effizient herstellen. So werden die Abläufe von einer einzigen Maschine abgedeckt: Dosierung und Mischen, Nass- oder Schmelzgranulation, Trocknung und Kühlung, Tablettierung und Beschichtung. Dabei fallen geringere Abfallkosten an und die Qualitätskontrolle reduziert die Kosten pro Tablette.

Teil der Wirtschaftsstrategie

Diese Medikamente bedeuten für Patienten eine bessere, in vielen Fällen die einzige Behandlungsoption. Die intensive Forschung und Weiterentwicklung effektiverer Behandlungsmethoden hat sich in der Steiermark zu einem Schwerpunkt entwickelt. 37.500 Fachkräfte arbeiten im Bereich der Life Science, Pharma und Medizintechnik und erwirtschaften einen Jahresumsatz von 4,1 Milliarden Euro. Insgesamt sieben Innovations- und Forschungszentren gelten als eine der Schlüsselsäulen der steirischen Wirtschaftsstrategie und unterstreichen die Wichtigkeit der Industrie und Forschungsimpulse für die Region. Das RCPE steht im Eigentum der TU Graz (65 Prozent), der Karl-Franzens-Universität (20 Prozent) und dem Joanneum Research (15 Prozent).

"Mit dem RCPE hat die TU Graz ein Vorzeige-Kompetenzzentrum in ihrem Portfolio. Neben der Bedeutung für den regionalen Biotech- und Pharma-Forschungsstandort Steiermark, konnte sich das Zentrum über die letzten zehn Jahre auch international gut vernetzen und so zu einem Leuchtturm der Pharmaceutical Manufacturing Science entwickeln", sagt der Rektor der TU Graz, Harald Kainz. So werden Partnerschaften mit Einrichtungen und Unternehmen in den USA, Asien und Europa gepflegt. "Forschungszentren wie das RCPE bündeln nicht nur Investitionskapital in der Region, auch hochwertige Arbeitsplätze stärken den Wirtschaftsstandort nachhaltig", ergänzt Thomas Klein, kaufmännischer Leiter des RCPE.

Im vergangenen Jahr wurde am RCPE ein Umsatz von 13 Millionen Euro erwirtschaftet. Die Forschung wird zu drei Vierteln aus privaten Aufträgen der Wirtschaft finanziert - das ist der höchste frei finanzierte Anteil aller Kompetenzzentren in Österreich.