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"Medizin war immer dynamisch"

Von Christa Hager

Dr. Beatrix Patzak (49) übernahm 1993 als erste weibliche Direktorin die Leitung des Museums in der Spitalgasse (Narrenturm).  Seit Mitte 2013 ist sie als Kassenärztin im 20. Bezirk tätig. Aktuelles Buch: Beatrix Patzak, Faszination und Ekel. Das Pathologisch-anatomische Bundesmuseum im Wiener Narrenturm (2009).
© Privat

Die praktische Ärztin Beatrix Patzak über Primärversorgungszentren, Elga und medizinische Ausbildung.


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"Wiener Zeitung:" Sie haben lange als Wahlärztin gearbeitet. Was war der Grund, nach zehn Jahren zum Kassensystem zu wechseln?

Beatrix Patzak: Für mich war die Frequenz ausschlaggebend. Diese ist bei Kassenärzten wesentlich höher. Durch den Kassenvertrag hat man eine gewisse wirtschaftliche Sicherheit. Der Nachteil ist, dass man als Vertragsnehmer der Kasse agieren muss wie ein ordentlicher Kaufmann.

Bringt einen das Kaufmännische und das Medizinische nicht in einen Zwiespalt? 

Sicherlich, das ist ein tägliches Thema. Vor allem wenn man Urlaubsvertretungen macht. Denn Kassenärzte arbeiten im Team. Jeder Bezirk ist durch den Bezirksärztevertreter durchstrukturiert, der organisiert alles, was die Belange der niedergelassenen Ärzte betrifft. Das finde ich sehr gut, weil man sich dadurch vernetzt, auch unter den Fachärzten. Es gibt von außen vielleicht das Bild, dass der niedergelassene Arzt allein arbeitet. So ist das nicht mehr, man arbeite innerhalb eines Bezirks im Netzwerk und tauscht sich aus gegenseitig aus.

Mit den Primary Health Care Zentren, also den Primärversorgungszentren,  will man ja auch die Vernetzung  unter Ärzten vorantreiben. Wie stehen Sie zu dieser Entwicklung?

Ich denke, dass die Primary Health Care Zentren nicht von Vorteil sein werden - weder für die Qualitätsversorgung noch für die Zusammenarbeit mit den niedergelassenen praktischen Ärzten. Unser System ist nicht darauf aufgebaut. Andererseits sehe ich natürlich den Bedarf, nur befürchte ich, dass es damit wirklich die Etablierung der Zwei-Klassen-Medizin geben wird.

Inwieweit?

Derjenige, der nicht gut Deutsch spricht, der sich nicht auskennt, der am Rande der Armut lebt, der landet in der Erstversorgung, wo billig und rational schnell verwaltet wird. Aber kennt sich ein Patient ein bisschen aus und spricht ein bisschen Deutsch, wird er versuchen, zum praktischen Arzt zu gehen, der auch sein Arzt des Vertrauens ist. Ich denke nicht, dass die Primary Health Care Zentren so vertrauensaufbauend sein können, dass wirklich eine tragende medizinische Beziehung zu den Patienten aufgebaut werden kann. Die werden mehr zum Durchläufer, so wie wir es aus dem Fernsehen kennen und so wie wir uns das alles vorstellen:  Es kommt ein Kranker herein und wird dann von irgendeiner Schwester oder einem Arzt versorgt – er kennt ihre Namen nicht, und am Tag darauf praktizieren dort vielleicht ganz andere Ärzte und Schwestern.

Das bedeutet nicht, dass wir diese Erstversorgung  nicht brauchen, aber sie werden nicht billig, sondern eher teurer.

Welche Schritte müssten in der Ausbildung gesetzt werden, um das medizinische System zu verbessern?

Die Medizin ist immer schon ein dynamisches System gewesen. Sowohl der Arztberuf als auch die Assistenzberufe sind immer in Bewegung: Alle zehn Jahre ändern wir unsere Ansichten darüber. Ich finde das durchaus von Vorteil, denn wenn wir jetzt noch so ausbilden würden wie vor hundert Jahren, dann hätten wir zwar ein stabiles System, aber es würde sich nicht viel entwickeln. Allerdings: Das was man in der Diskussion über die Ausbildung von Ärzten und Assistenten vergisst ist, dass sich beide in verschiedenen Gebieten befinden.  Viele glauben, dass eine Schwester das gleiche tut wie ein Arzt - und umgekehrt. Für den Laien ist das alles gleich. Doch der Arztberuf ist ein gänzlich anderer als der Beruf von diplomierten Gesundheitspflegern etwa. Auch wenn wir zusammen arbeiten.

Der Arztberuf ist ein freier Beruf, der geschichtlich extrem stark mit Meinungen und Standpunkten verbunden ist. Der Mediziner arbeitet selbstverantwortlich, einen Arzt ohne Meinung gibt es nicht. Wenn ein Tapezierer den Boden falsch verlegt, dann wird er vielleicht einen neuen verlegen. Aber wenn ein Arzt etwas Falsches tut, dann kann er einen damit umbringen. Und dafür ist er voll verantwortlich. Wenn meine diplomierte Schwester im Assistenzberuf medizinisch einen Fehler begeht, dann bin ich trotzdem haftbar. Ich hafte, ich entscheide. Das vergisst man bei der Diskussion. Diese Hauptverantwortlichkeit wird unter den Tisch gekehrt.

Weshalb ist das so?

Im Grunde geht es dabei ums Geld. Und um die Meinung. Der Arzt ist immer noch der Unangenehme, der eine Meinung hat, der kein Ja-Sager ist. Natürlich ist er im System der Teurere, man muss mit ihm verhandeln - und das ist das größte Problem. Wenn der einmal weg ist, und der Arzt einmal nicht verhandelt und nicht selbstverantwortlich ist, dann haben wir`s billig und leicht. Dann können wir machen, was wir wollen.

Doch Verantwortlichkeiten sollten auch im Medizinbereich eindeutig definiert werden. Werkzeuge für ein Fehlermanagement wären hier hilfreich. Wir sind noch immer peinlichst berührt, wenn wir einen Fehler zugeben. Wir haben alle nicht gelernt, über diese Fehler zu sprechen, und zwar auch interdisziplinär, im Team.

Stichwort Vernetzen: ELGA als Versuch in diese Richtung?

Elga ist eine Chance. Das Problem ist, dass die Realität beim Kassenarzt ein bisschen anders aussieht. Als Arzt bin ich ein ordentlicher Kaufmann, d.h. ich kann mit einer Ordination auch in Konkurs, in den Ausgleich, gehen. Ich habe Personal und Fixkosten, auf der Gegenseite stehen die Einnahmen, die  zum größten Teil aus den Kassenhonoraren bestehen. Vor einiger Zeit mussten wir uns alle elektronisch ausrüsten und diese Systeme selbst bezahlen. Auch die Kosten für die Instandhaltung liegen bei uns. Nehmen wir den fiktiven Fall an, dass an einem Donnerstagnachmittag 70 Patienten im Warteraum sitzen, davon sieht der Arzt in drei Stunden die Hälfte. Dann rechnen sie sich aus wie viel Zeit ich pro Patient habe. Aber es ist finanziert. Doch dass ich in Elga hineinschaue, das zahlt mir niemand. Elga wäre eine tollte Sache, wenn es auch wirklich gut und praktikabel wäre, also eine hohe Nutzungsqualität für uns hätte.

Ist Elga unübersichtlich?

So wie es jetzt geplant ist, ist es ein bisschen nicht übersichtlich (lacht). Aber selbst wenn die Suchmaschine toll läuft und das System besser funktioniert, als die Systeme, die wir jetzt haben, selbst dann zahlt mir noch immer niemand die vorgesehenen zehn Minuten, die ich pro Patient in Elga verbringen soll. Warum sollte ich das machen? Schon jetzt sammle ich die Befunde meiner Patienten,  ich bin direkt vernetzt mit dem Labor, dem Röntgenarzt, den Fachärzten.

In den vergangenen Jahren wurde immer mehr gefordert, aber es wurde nichts zurückgegeben. Wenn man wenigstens zurückgeben würde, dass die praktischen Ärzte in Österreich toll sind, dass alle hinter uns stehen, dann macht mir das nichts, wenn ich mir eine teure Druckerpatrone auch noch kaufen muss. Aber jetzt muss ich alles selber auf meine Schultern nehmen. Man braucht schon einen sehr großen Enthusiasmus, um das in Zukunft auch so zu machen. Wenn es nicht zum Nachteil meines Patienten ist, warum soll ich dann in Elga hineinschauen. Aber wenn es für mich anwenderfreundlich, in ein gutes EDV- System eingebettet und wenn es bezahlt wird, dann ist Elga für mich super. Dann bitte morgen und nicht übermorgen!

Unter den Ärzten gibt es diesbezüglich keinen einheitlichen Standpunkt, viele sind für Elga, viele dagegen.

Wir sind eine sehr inhomogene Gruppe, und daher auch nie eine große Kraft gegen andere. Wir sind eigentlich Individualisten, damit ist das für jeden anders. Was es auch spannend macht. Und es findet sich jeder Patient seinen praktischen Arzt. Das ist das Schöne daran. Es ermöglicht auch eine Art Qualitätssicherung. Der Arzt hat den Patienten nicht sicher - wenn ihm etwas nicht passt, dann geht er im nächsten Quartal zu jemandem anderen.

Diskutiert wird immer wieder auch eine Zusammenlegung der Krankenkassen. Würde das ihrer Ansicht nach im Gesundheitswesen  etwas zum Positiven verändern?

Als praktischer Arzt im 20. Bezirk habe ich noch nie ein Problem mit den verschiedenen Kassen gehabt, mir ist das im Berufsleben eigentlich völlig egal. Auch die verschiedenen Abrechnungen. Ich rechne elektronisch ab, für mich ist das ein Tastendruck.