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Medizinisch eine Erfolgsstory, sozial noch eine Baustelle

Von Heiner Boberski

Wissen

Erstmals in Österreich: Studie über das Befinden von HIV-Patienten. | Kein Todesurteil mehr, aber für Körper und Seele eine Leidensgeschichte. | Wien. Als "einzigartige Erfolgsgeschichte in der Medizin" sieht die Wiener Hautärztin Judith Hutterer, die 1981 das erste Mal mit einem Aids-Kranken zu tun hatte, den Fortschritt in der Behandlung der Immunschwächekrankheit in den letzten Jahrzehnten. Galt eine HIV-Infektion bis in die 1990er-Jahre noch als Todesurteil, so werden heute mehr als 90 Prozent der Patienten erfolgreich therapiert, das heißt, die Viruskonzentration bleibt im Optimalbereich.


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Mehr als 50 Prozent der Patienten haben heute normale Immunwerte, 70 Prozent nehmen maximal drei Tabletten am Tag, 20 Prozent sogar nur eine einzige.

Die Lebenserwartung von HIV-Patienten ist nun praktisch normal, sagt der Wiener Allgemeinmediziner Horst Schalk, Generalsekretär der Ögnä-HIV (Österreichische Gesellschaft niedergelassener Ärzte für HIV-Patienten), die am Mittwoch in einer Pressekonferenz die Umfrage "Leben mit HIV 2010" präsentierte. Diese erste diesbezügliche Studie in Österreich, geleitet vom Sozialwissenschafter Olaf Kapella, wollte nun die Lebensqualität von HIV-Patienten thematisieren.

Nur eine Stichprobe, keine repräsentative Untersuchung

Da die Studie nur 180 Patienten der drei Wiener Ögnä-Schwerpunktpraxen erfasste (sie soll aber noch ausgeweitet werden), ist sie nur als qualitative Stichprobe anzusehen. In einer repräsentativen Studie (etwa 9000 HIV-Patienten sind in Österreich in Behandlung) wäre wohl der Frauenanteil (hier nur 17 von 180) doch etwas höher und die sexuelle Orientierung der Männer (hier 82 Prozent homosexuell, 10 Prozent heterosexuell, der Rest bisexuell) nicht ganz so einseitig verteilt. Auch der hohe Akademikeranteil unter den Teilnehmern - mehr als ein Drittel - überrascht.

Als größte Sorgen nennen die HIV-Infizierten erstens die Möglichkeit, andere mit dem Virus anzustecken, zweitens, dass ihre Infektion bekannt werden könnte, und drittens die Langzeitwirkung der Medikamente. Ihr Wohlbefinden würde sich, sagt die relative Mehrheit, am deutlichsten durch Fortschritte bezüglich der Therapie und der Nebenwirkungen verbessern. Am meisten beeinträchtigt fühlen sie sich (siehe Grafik) in der Sexualität, am wenigsten im - oft neuen - Freundeskreis.

71 Prozent der Befragten erklärten, dass sie in einer Partnerschaft leben. Während 99 Prozent bereits seit mindestens einem Jahr von ihrer Ansteckung wussten, wandten nur 87 Prozent schon seit einem Jahr eine medikamentöse Therapie an. Nur 6 Prozent spürten keine Nebenwirkungen der Therapie, doch bei einem hohen Prozentsatz trat eine ganze Reihe von Beschwerden auf. Am meisten wurde über Müdigkeit und Energiemangel, die Verdauung, Stimmungsschwankungen und Depressionen sowie über Ängste, sexuelle Störungen und Schlafstörungen geklagt. 18 Prozent hatten auch Suizidgedanken. Als Unterstützung erleben HIV-Patienten am ehesten Partner, enge Freunde und Geschwister, weniger die Eltern, vor allem die Väter, die Kinder oder Arbeitskollegen.