Wladimir Putins gelenkte Doppelherrschaft hat Risse bekommen. Als Dmitri Medwedew vor einem Jahr, am 7. Mai 2008, Putins Nachfolge antrat, traute diesem kaum jemand zu, aus dem Schatten seines mächtigen Mentors zu treten. Am wenigsten Putin selbst. Dieser musste ja, weil ihm die Verfassung eine dritte Amtszeit in Folge versagte, mit dem Amt des Premiers vorlieb nehmen. Putin hoffte, mit Medwedew einen willfährigen Befehlsempfänger in den Kreml gehievt zu haben.
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Doch weit gefehlt. Der 43-jährige Jurist setzte schon bald Gegensignale zu Putins autoritärem Kurs. Wenige Tage nach Amtsantritt kippte er eine noch von Putin initiierte Verschärfung des Mediengesetzes, weil es "ein normales Funktionieren von Massenmedien behindern" könnte. Bei einer Rede vor Bürgerrechtlern prangerte er kürzlich Defizite beim Aufbau einer Zivilgesellschaft an, kritisierte das unter seinem Vorgänger verschärfte NGO-Gesetz, klagte öffentlich über den herrschenden Rechtsnihilismus und rügte in einem Interview für die Kreml-kritische Zeitung "Nowaja Gaseta" indirekt das Demokratie-Verständnis Putins. "Stabilität und ein Leben im Wohlstand können in keiner Weise gegen politische Rechte und Freiheiten gestellt werden", mahnte Medwedew just in jener Zeitung, die in den vergangenen zwei Jahren zwei Journalisten durch Politmorde verloren hat. Eine von ihnen war die Tschetschenien-Reporterin Anna Politkowskaja.
Neue Akzente setzt der Kremlführer auch bei der Besetzung politischer Ämter. So ernannte er mit Nikita Belych einen bekannten liberalen Oppositionspolitiker zum Gebietsgouverneur der Region Kirow. In Inguschetien feuerte er den als unfähig und brutal verschrieenen Republikspräsidenten und Putin-Gefolgsmann Murat Sjasikow.
Seinen bisher größten Affront beging Medwedew jedoch, als er die Regierung öffentlich für ihre miserable Performance bei der Abfederung der Wirtschaftskrise tadelte und damit ihren Vorsitzenden Putin bloßstellte.
Dennoch sind all das nicht mehr als vorsichtige Versuche, sich von Putin zu emanzipieren, der mit Hilfe seiner alten Geheimdienst-Clique nach wie vor die Fäden fest in der Hand hält. Für einen echten Wechsel fehlt Medwedew schlicht eine Hausmacht.