)
Ein Wiener Wissenschafter kann tief ins menschliche Gehirn blicken, aber nicht verstehen, warum sich die Medizin-Uni Wien (MUW) eine für seine Arbeit wesentliche Apparatur nicht finanzieren lassen wollte.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 19 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wiener Allgemeines Krankenhaus (AKH), blauer Trakt, Ebene sechs: Auf dem Gang der Abteilung für Klinische Neurologie wird auf einem Plakat ein Gerät namens CTF 275 vorgestellt. An der Seite klebt ein Streifen mit der Aufschrift: "Coming soon!" Darunter verrät ein weiterer Streifen: "Elsewhere." Was hat es mit dieser technischen Errungenschaft , die zunächst bald an der Klinik erwartet wurde, aber nun "woanders" eintreffen soll, auf sich?
Lüder Deecke, Ordinarius an der MUW und Leiter der Klinischen Abteilung für Klinische Neurologie am AKH, liefert der "Wiener Zeitung" die Erklärung: Beim CTF 275 handelt es sich um eines der teuersten Geräte der modernen Gehirnforschung mit der Fachbezeichnung MEG (Magnetoenzephalograph). Ein solcher MEG misst bereits winzige Magnetfeldänderungen im Gehirn und liefert daher eine Fülle von Hinweisen, wie das menschliche Gehirn arbeitet und auf Reize reagiert. Es ist aber, so Deecke, nicht nur ein "wissenschaftliches Spielzeug", sondern von auch großem praktischen Nutzen für Patienten, insbesondere für Epileptiker.
Ein Sponsor, den Deecke nicht nennen will, habe sich bereit erklärt, der Klinik für den Kauf eines solchen Gerätes samt Folgekosten 1,6 Mio. Euro zur Verfügung zu stellen, AKH und Medizin-Universität hätten aber der Anschaffung nicht zugestimmt. Der bereits überwiesene Sponsorbetrag sei zweimal postwendend retourniert worden. Auf Anfrage der "Wiener Zeitung" versicherte Karin Fehringer, Leiterin der AKH-Pressestelle, die ärztliche Direktion des AKH hätte die MEG-Beschaffung akzeptiert, nicht aber die MUW.
MUW-Pressesprecherin Nina Hoppe gab gegenüber der "Wiener Zeitung" folgende Stellungnahme ab: "Die MUW hatte die Wahl zwischen zwei Forschungsschwerpunkten. Im Zuge dessen hat sie sich für den Hochfeld (7Tesla) MR-Tomographen entschieden, von dem es europaweit nur drei Geräte gibt, und der ein interdisziplinäres Gerät für insgesamt sieben Forschungsbereiche der MUW (inkl. Uniklinik für Neurologie) darstellt. Dies garantiert auch die weitere internationale Konkurrenzfähigkeit der Forschung an der MUW. Das Gerät wurde teilfinanziert über das Programm ,Uniinfrastruktur III' des Bildungsministeriums." Beim MEG wären auch "nur die Gerätekosten, aber nicht die notwendigen Personalkosten abgegolten gewesen".
Bereitschaftspotential
Deecke, der auf mehrere Jahre erfolgreicher Arbeit mit dem MEG-Vorgängermodell verweist, kann diese Entscheidung nicht nachvollziehen. Der renommierte Wissenschafter wurde vor 40 Jahren zusammen mit Hans H. Kornhuber durch die Entdeckung des "Bereitschaftspotentials" (dieser deutsche Ausdruck setzte sich auch in der englischsprachigen Fachwelt durch) bekannt: Kornhuber und Deecke konnten mit Hilfe von EEG-Ableitungen zeigen, dass bei einfachen Handlungen - wie dem Bewegen einer Hand oder eines Fußes - eine Art Vorwarnung im Gehirn auftritt. Noch bevor die Handlung einsetzt, ist an den Potentialschwankungen zu erkennen, dass etwas im Gange ist.
Keine Alternative
Nach Deeckes Meinung schlösse der Kauf eines 7Tesla-Magnetresonanztomographen, den er in einzelnen Bereichen, beispielsweise in der Epilepsie-Forschung, für keine Alternative zum MEG hält, keineswegs den gesponserten Erwerb eines MEG aus. Daher findet er die Entscheidung bedauerlich für die Universität. Der aus Kanada stammende CTF 275 werde aber dank des Sponsors tatsächlich "elsewhere" in Wien einlangen und für Forschung und Diagnostik Verwendung finden, verrät Deecke. Im neunten Wiener Gemeindebezirk, wo auch AKH und MUW liegen, werde eine außeruniversitäre Privateinrichtung im Herbst die dafür nötigen baulichen Maßnahmen einleiten, damit das von der MUW verschmähte Gerät in Betrieb genommen werden kann.