Zum Hauptinhalt springen

Mehr als ein Atomstreit

Von David Ignatius

Kommentare
Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".

Der Westen fordert einen Kompromiss, der in den Augen des Iran dessen nationale Identität unterminiert.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Es ist nicht leicht, für die Atomgespräche mit dem Iran einen Vergleich zu finden. Aber denken Sie an Lohnverhandlungen, wenn ein Streik für die Arbeitnehmer zu kostspielig ist und eine Aussperrung für den Arbeitgeber. Also macht man ohne Vertrag weiter und die Verhandlungen werden fortgesetzt. Die Lage sieht stabil aus, zum Teil jedoch, weil ein toter Punkt erreicht ist. Die Verhandler einigten sich in Wien auf eine siebenmonatige Verlängerung. Bei einigen Details sind sie immer noch weit auseinander, aber niemand will einen Abbruch.

Schuld an dieser Sackgasse ist eine tiefergehende Auseinandersetzung im Iran. Hardliner in Teheran sagen, dass die für ein Abkommen nötigen Kompromisse die radikale Islamische Republik untergraben würden. Für den Westen steht aber auch sehr viel auf dem Spiel: Einigt man sich auf die Zugeständnisse, die sich der Iran bei der Urananreicherung wünscht, könnte das den Weg für die Ausbreitung ähnlicher Atomtechnologie auf Saudi-Arabien und andere Staaten in der Region öffnen und ein möglicherweise katastrophales nukleares Wettrüsten auslösen. So ist man übereingekommen, dass im Moment kein Abkommen besser ist als ein schlechtes.

Als ich vor einem Jahr in Teheran war, war die Atomfrage bereits zu einem grundsätzlichen politischen und wirtschaftlichen Scheideweg geworden. Außenminister und Atomchefverhandler Mohammad Javad Zarif sagte mir damals, dass eine endgültige Einigung "unsere Beziehungen zum Westen ändern kann." Hossein Shariatmadari jedoch, ein kompromissloser Mitstreiter von Revolutionsführer Ali Khamenei, sagte: "Das Problem ist nur zu lösen, wenn eine von beiden Seiten ihre Identität aufgibt - nur dann." Diese bis heute anhaltende interne iranische Debatte ist wahrscheinlich von ebenso großer Bedeutung wie die Atomgespräche selbst.

Was machen Lohnverhandler, wenn sie in eine solche Sackgasse geraten? Eine klassische Methode ist, das, worauf man sich geeinigt hat, herauszustreichen. Genau das hat der US-amerikanische Außenminister John Kerry getan. Neue Ideen seien in den letzten Verhandlungstagen aufgetaucht, sagte er. Wie es heißt, sollen US-Verhandler an Teilen des Abkommens arbeiten - an der Anzahl der iranischen Zentrifugen, an der Größe des Vorrats, der Dauer des Abkommens und an den Prüfverfahren -, um die Bedenken der Iraner zu verringern und gleichzeitig sicherzustellen, dass sie, auch wenn sie gegen das Abkommen verstoßen sollten, mindestens ein Jahr brauchen würden, um eine Atombombe zu bauen.

Bei Lohnverhandlungen ist es oft
der wirtschaftliche Druck, der eine Einigung erzwingt. Diese Variable scheint für den Westen zu arbeiten. Die Sanktionen bleiben aufrecht, der Ölpreis niedrig, die Einkünfte des Iran geraten durch die Stellvertreterkriege im Irak und in Syrien unter Druck.

Käme es nur auf den wirtschaftlichen Druck an, würde die Republik Iran ein Abkommen schließen. Aber wie Khamenei sagte: "Ich bin kein Diplomat, ich bin Revolutionär." Diese Logik kann Menschen dazu verleiten, sich auch dann von Abkommen abzuwenden, wenn diese in ihrem rationalen Interesse stehen.

Übersetzung: Redaktion