"Fremdgehen" im Einvernehmen mit dem Erstpartner. | Wien. Friedrich Engels, Jean-Paul Sartre, Bertrand Russel, John Maynard Keynes, Arnold Zweig, Erwin Schrödinger und Bertold Brecht, aber auch Virginia Woolf, Amelia Earhart, Lou Andreas-Salome, Simone de Beauvoir, Edna St. Vincent Millay und Vita Sackville-West, um nur ein paar der Prominenten zu nennen: Sie alle verband ihre Fähigkeit, mehrere Liebesbeziehungen unterhalten zu können, und viele legten sich dabei auch nicht auf ein Geschlecht fest, sondern liebten eben hetero-, schwul/lesbisch oder bisexuell.
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Der Begriff für eine Lebensweise, deren Wurzeln freilich bis in die früheste Menschheitsgeschichte zurückreicht, während die monogame Zweierbeziehung sehr viel jüngeren Datums ist, entstand allerdings erst in den 1960er Jahren: Polyamory. Darunter versteht man, kurz gefasst, "Liebesbeziehungen zu mehr als einem Menschen zur gleichen Zeit mit vollem Wissen und Einverständnis aller Beteiligter" (Wikipedia). Und was vordem in Herrschaftshäusern selbstverständlich war und später vor allem von Wohlhabenden, Intellektuellen und Künstlern aufgegriffen wurde, gilt heute auch vielen Durchschnittsmenschen als lebbares Ideal.
"Es gibt tatsächlich eine Menge Menschen, die diese Beziehungsalternative leben", sagt die Psychologin Sonja Mayr-Stockinger, die im Zuge ihrer Diplomarbeit (siehe Kasten) entsprechende Interviews geführt hat. Und: "Ich war dabei erstaunt, mit welcher Selbstverständlichkeit sie es tun."
Immerhin setzt Polyamory weit mehr voraus als eine Zweierbeziehung: Liebe ist ohne Empathie nicht möglich, und es bedarf schon einer gehörigen Portion davon, mehrere Menschen überhaupt lieben und Eifersucht managen zu können, Verantwortung für ein solches Beziehungsgeflecht zu übernehmen und stets aufrichtig zu sein.
Natürlich fehlt es nicht an Gegenargumenten wie etwa dem, dass der Seitensprung dadurch zu einer bequemen Angelegenheit wird, fällt doch der "Betrug" bei diesem Modell weg. Und gewiss sind nicht alle Beteiligten stets glücklich und zufrieden, wie Simone de Beauvoirs Schilderung "Sie kam und blieb" zeigt. Zu betonen ist schließlich auch, dass ein polyamoröses Leben vor allem dann gereifte Persönlichkeiten voraussetzt, wenn die Partner Kinder haben, und dass es keine Alternative für Menschen darstellt, die schon Probleme haben, auch nur eine liebe- und respektvolle Beziehung zu führen.
Sexualität ebenso wichtig wie die Liebe
Gänzlich auf dem Holzweg befindet sich weiters, wer hinter Polyamory einen Freibrief für ein ungezügeltes Triebleben wie im Swingerclub vermutet: Sexualität ist polyamorösen Menschen ebenso wichtig und gleichwertig wie die Liebe.
Unter strikter Einhaltung der gebotenen Spielregeln und Vereinbarungen eröffnet Polyamory allerdings eine andere Sicht auf das Leben, fördert das Sozialverhalten und offeriert eine Fülle verschiedenster Liebes- und Sexualbeziehungen - wenn man damit richtig umgehen kann.
Studie: Probanden gesucht
Für eine wissenschaftliche Studie zum Thema Polyamory werden Personen gesucht, deren Aufgabe darin besteht, einen Fragebogen auszufüllen, der auch Raum für eigene Anmerkungen lässt.
Weltweit gibt es bereits zahlreiche Studien zum Thema "Polyamory", dem beispielsweise Wikipedia 27 Druckseiten widmet, sowie Literatur wie zum Beispiel "Frühstück zu Dritt", eine Schilderung des polyamorösen Beziehungsalltags von 26 Deutschen.
In Österreich herrscht noch Nachholbedarf. Im Rahmen einer Diplomarbeit an der Universität Salzburg (Institut für Psychologie) arbeitet Sonja Mayr-Stockinger an einer Studie über dieses alternative Beziehungsmodell. Bisher konnte sie acht Personen, die polyamorös leben, interviewen und erhielt 44 ausgefüllte Fragebögen zur statistischen Auswertung.
Weitere mehrfach liebende Teilnehmer werden nun gesucht. Alle Angaben werden entsprechend der gesetzlichen Schweigepflicht vertraulich behandelt und anonymisiert ausgewertet.
E-Mail erbeten an: sonja.stockinger@gmx.net