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Mehr als ein Nord-Süd-Konflikt

Von Theophile Kouamouo

Politik

Abidjan - In Elfenbeinküste, einem der stabilsten und auch reichsten Länder Afrikas, hat Ende September eine Meuterei gegen den demokratisch legitimierten Präsidenten Laurent Gbagbo begonnen, hunderte Menschen dürften ums Leben gekommen sein. Nachrichten über diese Militärrebellion und ihre Führer sind knapp. Denn es gibt auch im Ausland einiges Interesse daran, ihre Hintergründe zu verschleiern.


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Es ist wohl einer der längsten Staatsstreiche unserer Zeit: Seit über einem Monat rebellieren die Aufständischen, um den ivoirischen Präsidenten Gbagbo zu stürzen, sie liefern sich heftige Kämpfe mit den regierungstreuen Truppen. Angesichts der Unruhen droht eine humanitäre Krise. Hunderttausende haben bereits die von den Rebellen kontrollierten Gebiete verlassen und sind nun auf nationale und internationale Hilfe angewiesen. Doch aufgrund der ethnischen und religiösen Spannungen zwischen den christlichen und animistischen Volksstämmen aus dem Süden einerseits, und den aus dem Norden stammenden Muslimen andererseits, ist auch die Gefahr von Auseinandersetzungen innerhalb der Zivilbevölkerung beträchtlich, und das, obwohl die Machtansprüche der verschiedenen Bevölkerungsgruppen sich in der Vergangenheit nicht ausschließlich ethnischen Kriterien verdankten. Hunderte sind umgekommen, Tausende, Zehntausende mussten fliehen.

Ende des Postkolonialismus

Der Aufstand in der Elfenbeinküste darf deshalb noch lange nicht als ein weiterer afrikanischer Bruderkrieg betrachtet werden. Konflikte dieser Art werden ja in der Regel als irrationale Stammesfehden abgetan. Die Krise in der Elfenbeinküste ist viel tiefgründiger. Sie symbolisiert die Erschöpfung einer gewissen postkolonialen Sicht der frankophonen Staaten Afrikas, genauer gesagt das Scheitern der "postkolonialen Kolonialpolitik". Sie stellt aber auch das Ende eines schon seit längerem korrumpierten Systems dar. Als Vorzeigestaat "Französisch Afrikas" (Françafrique) - des frankophonen und frankoökonomen Westteils des Kontinents, der durch den "aufgeklärten Autokraten" Felix Houphouet-Boigny verkörpert wurde, der 30 Jahre lang alleinregierte, stützte sich die Elfenbeinküste auf mehrere Pfeiler:

Da gab es zum einen die Einheitspartei, dann die Erlöse aus dem Export landwirtschaftlicher Rohstoffe - die Elfenbeinküste ist mit 40 Prozent der Weltproduktion der größte Kakaobohnenhersteller der Welt und der größte Kaffee-Exporteur Afrikas - sowie zum anderen die unerschütterliche Zusammenarbeit mit Frankreich, dessen Unternehmen die Wirtschaft des Landes kontrollierten. Diese Grundlagen wurden jedoch nach und nach zunichte gemacht.

Die Einheitspartei der Elfenbeinküste legte sich eine interne geopolitische Struktur zurecht, die auf den anthropologischen Klischeevorstellungen der französischen Kolonialmacht beruhte, welche auch nach der Unabhängigkeit noch Gültigkeit besaßen. Wie auch in anderen afrikanischen Staaten orientierte sie sich dafür an einer "Achse". Der Norden, in dem überwiegend Muslime leben, sowie die von den Baoulés (dem Stamm des Präsidenten Houphouet-Boigny) bewohnten zentralen Regionen übten gemeinsam die Macht im Land aus. Sie teilten sich aber auch den Reichtum: Die Baoulés kontrollierten die Kakaoproduktion, während der Einzelhandel und der Verkehr vollständig in den Händen der Bevölkerung aus dem Norden waren. Dadurch blieben den Franzosen und den Libanesen die wirtschaftlichen Schlüsselsektoren.

Unmut und Repression

Der Unmut unter dem Minderheitsvolk der Krus, die mehr oder weniger ausgegrenzt wurden, war groß. Sie standen noch unter dem Schock der gewaltsamen Repression sowie den unmittelbar nach der Unabhängigkeit begangenen Massaker. Nach und nach ging ihr fruchtbares Land ohne ihre Zustimmung in den Besitz der Baoulés und deren Landarbeiter, den Mossi über. Letztere waren aus dem Nachbarland Burkina Faso gekommen und aus fadenscheinigen anthropologischen Gründen wurde ihnen die Rolle der "Arbeiter" zugeschrieben. 1990 waren es dann die Krus aus dem Westen, gefolgt von anderen unterdrückten und mit den Baoulés verwandten Stämmen, die unter der Führung des heutigen sozialistischen Präsidenten Laurent Gbagbo die Oppositionellen bildeten. Im ivoirischen Mehrparteiensystem, der logischen geschichtlichen Folge dieser langen politischen Eintönigkeit, spielten - wie auch in anderen afrikanischen Staaten - ethnische Überlegungen von Anfang an eine bedeutende Rolle.

Ende der 90-er Jahre wurden die Karten dann neu gemischt. Das novellierte Gesetz über den ländlichen Grundbesitz, das die Enteignung der Krus durch die Baoulés nun offiziell legitimierte, sowie ihre feindliche Einstellung dem ehemaligen Premierminister Alassane Ouattara gegenüber, einem ehemaligen IWF-Funktionär, dem seine politischen Gegner die "Geltendmachung" seiner burkinischen Staatsangehörigkeit vorwarfen, machten die Volksgruppen aus dem Süden zu Verbündeten. Ihre mehr oder weniger unbegründete Angst bestand in der Vorstellung, ein Präsident "dubioser Abstammung" könnte den mit der nördlichen Bevölkerung der Elfenbeinküste kulturell verwandten Einwanderern aus den Sahel-Ländern den Weg zur ivoirischen Staatsbürgerschaft freimachen. Und das in einem Land, in dem der Ausländeranteil - der weltweit höchste - bei 26 Prozent liegt.

Von all diesen ethnischen Hintergründen hat die westliche Presse bislang nur das Konzept der "Ivoirité" aufgegriffen, das der Präsident Henri Konan Bédié vor allem deshalb ins Leben rief, um sich seines politischen Rivalen Alassane Ouattara zu entledigen. Diese Qualifikationsbedingung für die Wahl zum Präsidenten wurde als Instrument zur Ausschaltung aller ivoirischen Politiker eingesetzt, mit Ausnahme des internationalen Finanziers, der es sich nicht nehmen ließ, sein Bekenntnis zum Islam als Legitimationsgrund zu verwenden. Schließlich hatte er zu diesem Zeitpunkt ganze fünf Jahre seines Erwachsenenlebens in der Elfenbeinküste verbracht!

Der Aufstieg der Elfenbeinküste zur drittgrößten subsaharischen Wirtschaftsnation war ebenso wie die Errichtung des ultramodernen Geschäftsviertels der Wirtschaftsmetropole Abidjan, des sogenannten Plateau, dem Export landwirtschaftlicher Rohprodukte zu verdanken. Doch die Verschlechterung der Terms of Trade (die Entwicklung der Exportpreise gegenüber den Importpreisen und damit Abgleich der nationalen Währung durch die Handelsbilanz) und der ab den achtziger Jahren einsetzende Kursverfall brachten die Wirtschaft ins Wanken. Gleichzeitig bewirkte diese Entwicklung aber auch, dass die Pflanzer die Aufteilung der aus ihrem Sektor eingenommenen Erlöse in Frage stellten. Ihr Anteil betrug noch etwa 20 Prozent der Einnahmen, jener der von Houphouet-Boigny und der französischen Genossenschaft unter fragwürdigen Umständen verwalteten Caisse de Stabilisation belief sich jedoch auf mehr als 60 Prozent. Mit den auf diese Weise gewonnenen Mitteln gab die Elfenbeinküste bei französischen Firmen die Errichtung von Prestigebauten wie etwa die der Basilika von Yamoussoukro, die in ihrer Größe den Petersdom in Rom übertrifft, in Auftrag. Das von den internationalen Finanzinstitutionen sowie von amerikanischen Unternehmen unter Beschuss genommene Wirtschaftsmodell brach Ende der neunziger Jahre endgültig zusammen. Nach einer völligen Liberalisierung, die von einem Kursrückgang begleitet wurde, stiegen die Preise im Jahr 2001 wieder an. Erneut zum Präsidenten gewählt, stützte sich Laurent Gbagbo auf die ländlichen Genossenschaften, um den Mindestpreis (50 Prozent des Weltmarktpreises) wiedereinzuführen und kollektive Fonds einzurichten. Die durch Personaldebatten und gegenseitige Anschuldigungen des Amtsmissbrauchs geschwächten Genossenschaften waren ihrerseits eng mit dem größten ivoirischen Industriekonzern verbunden. Sie hatten vor, ihre Produkte zu exportieren, um den großen internationalen Konzernen das Leben schwer zu machen. Die Baumwollgenossenschaften verfolgten das gleiche Ziel. Doch damit verscherzten sie sich nicht nur die Gunst der für Stabilität eintretenden Franzosen, sondern auch die der auf der "Liberalisierung" pochenden USA.

Harter Euro, harte Worte

All das erfolgte zu einer Zeit, in der das Verhältnis zur ehemaligen Kolonialmacht Frankreich zusehends in Bedrängnis geriet. Im Jänner 1994, einen Monat nach Houphouet-Boignys Tod, der zeitlebens gegen die Abwertung des an den französischen Franc gekoppelten CFA-Francs auftrat, wurde letzterer um 50 Prozent abgewertet. Der "Solidaritätsmythos" war zerstört, ohne dass diese "Rosskur", welche die Wachstumsraten künstlich in die Höhe trieb, soziale Auswirkungen gehabt hätte. Die Einführung des Euro sorgte dann für noch größere währungspolitische Einsamkeit. Die sich seit zwei Jahren an der Macht befindliche ivorische Volksfront (FPI) stellte dann gleich bei ihrem Amtsantritt die Währungsparität zwischen Franc und CFA-Franc in Frage, was in Finanzkreisen für Panik sorgte. Des Weiteren wollte sie das Parlament zum Kontrollorgan der seit jeher mit dem französischen Schatzamt verbundenen Zentralbank der Westafrikanischen Staaten (BCEAO) machen. Die führenden Mitglieder der Partei sprachen sich auch dafür aus, die vor zehn Jahren durchgeführten Privatisierungen, die den französischen Firmen zugute gekommenen waren, rückgängig zu machen und verurteilten das von Profitgier bestimmte Verhalten der französischen Geschäftsbanken.

Doch das wohl deutlichste Indiz für den Bruch mit Paris, der zeitgleich mit der Rückkehr der Gaullisten in Frankreich erfolgte, war die gewalttätige Demonstration, die am 22. Oktober vor dem französischen Militärstützpunkt in Abidjan stattfand. Während der Protestkundgebung, die von jugendlichen Sympathisanten der Regierung organisiert wurde, ersetzten die Demonstranten die französische Flagge durch die ivorische. Die Vorwürfe gegen Frankreich reichten von "neokolonialer" Einmischungspolitik bis hin zu Komplizenschaft mit den Rebellen. Auch an Jacques Chirac wurde scharfe Kritik geübt: Er wurde als "Putschist" und "Sklaventreiber" bezeichnet. Das Maß war nun endgültig voll.

Aber die französische Militärpräsenz in der Elfenbeinküste ist ja schon seit langem kein Stabilitätsgarant mehr. Im Dezember 1999 war es ihr nicht gelungen, den ersten Putsch der Geschichte des Landes zu vereiteln. Sie hatte dem neuerlichen Aufflammen der Gewalt einfach tatenlos zugesehen. Das allmächtige "Französisch Afrika" geht also dort zugrunde, wo es entstanden ist: In der Elfenbeinküste. Der Absturz dieses Landes ist eine Bedrohung für die Stabilität des gesamten Westafrika.

Die involvierten Nachbarn

Dass die außenstehenden Akteure, denen von Abidjan nun die Unterstützung der Rebellen vorgeworfen wird, gemeinsam von Houphouet-Boigny und Frankreich herangezogen wurden, ist eine Ironie des Schicksals. Der burkinische Staatspräsident etwa, Blaise Compaoré, putschte sich 1987 mit dem Segen des "Vaters der Ivoirischen Nation" an die Macht, um die für seine Begriffe etwas zu kühne "Revolution", die von der Galionsfigur der engagierten afrikanischen Jugend, Thomas Sankara, ausgelöst wurde, zu "berichtigen". In weiterer Folge unterstützte er gemeinsam mit Houphouet-Boigny die Rebellion des früheren Rebellenführers und heutigen liberianischen Präsidenten, Charles Taylor. Er fungierte auch als wenig glorreicher Unterhändler der Françafrique, indem er der Rebellion des Jonas Savimbi in Angola und der besonders grausamen Bewegung der RUF-Rebellen Vorschub leistete. Die in diesen "strukturlosen" Kriegen untergegangenen Waffen und Kämpfer finden sich jetzt teilweise in der Elfenbeinküste wieder. In einem Land, das einst die "Perle" des sich nun endgültig auflösenden französischen Kolonialreichs war.

*Theophile Kouamouo studierte in Kamerun Publizistik an der renommierten École de Journalisme de Lille. Er war bis zu Beginn des Konflikts Korrespondent von "Le Monde" im frankophonen Afrika. Vor einem Monat warf er jedoch das Handtuch, weil seine Berichterstattung über die Krise in Côte d` Ivoire von der Afrika-Redaktion der Zeitung mehrmals zusammengestrichen wurde. Diese Einflussnahmen von "Le Monde" haben ihm auch im Feld Schwierigkeiten gemacht.