Polen wählen neuen Staatschef. | Zusammenarbeit zwischen Regierung und Präsident auf dem Prüfstand. | Finanzmärkte von Euro-Skeptiker Jaroslaw Kaczynski beunruhigt. | Warschau. Blumen für den toten Bruder: Mit dieser Geste beendete Jaroslaw Kaczynski seine Kampagne. Am letzten Tag des polnischen Präsidentschaftswahlkampfs - am Samstag und Sonntag herrscht nämlich Wahlruhe - reiste der Kandidat an das Grab von Lech Kaczynski. Der Staatschef ist vor mehr als zwei Monaten zusammen mit 95 weiteren Menschen bei einem Flugzeugabsturz umgekommen. Und er wäre am Freitag 61 Jahre alt geworden. Der um 45 Minuten ältere Jaroslaw, dessen politische Laufbahn, aber auch sein Privatleben aufs Engste mit Lech Kaczynski verbunden waren, musste den Geburtstag allein begehen.
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Am Sonntag bewirbt er sich um das Amt, das sein Zwillingsbruder bis zu seinem Tod innehatte. Der Ex-Premier und Vorsitzende der konservativen Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) könnte eine ernsthafte Konkurrenz für den Favoriten Bronislaw Komorowski von der regierenden rechtsliberalen Bürgerplattform (PO) sein - vor allem, wenn es zu einer Stichwahl am 4. Juli kommt.
Zwar sagen Umfragen Komorowski einen Sieg voraus. Doch auch bei der letzten Präsidentenwahl lag die PO in Befragungen voran. Und dann verlor ihr Kandidat, der jetzige Premier Donald Tusk, gegen Lech Kaczynski.
Macht zu blockieren und mitzubestimmen
Für die Regierungspartei ist es aber mehr als eine Prestigesache, die Wahl diesmal zu gewinnen. Es würde nämlich ihre eigene Arbeit erleichtern. Denn der polnische Präsident hat Befugnisse, die über rein repräsentative Aufgaben hinausgehen. Er kann Vorhaben der Regierung blockieren, wenn er sein Veto gegen Gesetze einlegt. Er hat außerdem ein Mitspracherecht in der Außen- und Sicherheitspolitik.
Das führte in den vergangenen Jahren immer wieder zu Spannungen zwischen Premier Tusk und Präsident Kaczynski. Dieser hat nämlich von seiner Macht gern Gebrauch gemacht. Das fing bei Streitereien an, wer zu EU-Gipfeln fliegen sollte, und endete beim Abblocken von Regierungsplänen. So hat Kaczynski eine - notwendige - Pensionsreform verhindert sowie Änderungen im Gesundheits- und Medienwesen.
Auch im Ausland prägte die Einstellung Kaczynskis das Bild von Polen. Der national orientierte Politiker hat keinen gesteigerten Wert auf gute Beziehungen zu den Nachbarn Deutschland und Russland gelegt, und auf europäischer Ebene hat er immer wieder auf die Interessen seines Landes gepocht. Was allerdings zuweilen auch die regierende Bürgerplattform macht.
Ringen um Einführung der Einheitswährung
Ein Wahlsieg Komorowskis würde es dem Kabinett Tusk ebenso erleichtern, in Polen die europäische Einheitswährung einzuführen, was PiS so weit wie möglich hinauszögern möchte. Einen Beitritt zur Euro-Zone schon in vier Jahren hält Finanzminister Jacek Rostowski dagegen für möglich - auch wenn der Internationale Währungsfonds (IWF) zuletzt vor zu viel Eile warnte. Das Land sollte sich zunächst um seinen Haushalt kümmern, erklärte der Leiter der Europaabteilung des IWF, Marek Belka. Kurz danach wurde er zum Vorsitzenden der polnischen Nationalbank gewählt.
An den Finanzmärkten hat die Kandidatur des Euro-Skeptikers Kaczynski jedenfalls nicht unbedingt Jubel ausgelöst. Denn für Polens Wirtschaft wäre eine gute Zusammenarbeit zwischen Regierung und Präsident vonnöten.
Zwar ist die ökonomische Lage des Landes besser als die der meisten europäischen Staaten: Im vergangenen Krisenjahr wuchs die Wirtschaft sogar um 1,8 Prozent, steigerten die größten börsenotierten Unternehmen ihren Nettogewinn um zehn Prozent. Dennoch stehen noch Reformen aus - wie eben im Pensionssystem.
Konsumlust der Polen kaum gebremst
Ebenso muss die Regierung die steigende Arbeitslosigkeit und das wachsende Budgetdefizit eindämmen, das heuer bis zu sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen könnte. Gute Voraussetzungen fürs Wirtschaftswachstum bringt hingegen die kaum gebremste Konsumlust der Polen. Der Binnenmarkt mit seinen fast 38 Millionen Teilnehmern hat sich als ziemlich stabil erwiesen. Chancen birgt auch die Verbesserung der Infrastruktur wie der Ausbau von Straßen, den sich Polen als Gastgeber der Fußball-Europameisterschaft 2012 vorgenommen hat.
Und auch bei der Verbesserung des Investitionsklimas kann der Präsident die Regierung unterstützen - sowohl bei in- als auch bei ausländischen Investitionen. Wieder hängt es davon ab, welches Bild von seinem Land das Staatsoberhaupt vermittelt, ein unternehmerfreundliches oder nicht. So war früher die Mitnahme von Wirtschaftsdelegationen auf Auslandsreisen gang und gäbe. Unter Präsident Kaczynski wurde sie immer seltener.