Einmal im Jahr wird New York zur Bühne der Staats- und Regierungschefs.
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New York. So ist das also mit der Welt im Herbst 2012. "In jedem Krieg zwischen dem zivilisierten Menschen und dem Wilden muss man den zivilisierten Menschen unterstützen. Unterstützt Israel. Besiegt den Heiligen Krieg." Die Botschaft des mannshohen Plakats lässt keinen Raum für Interpretation, und das ist ganz im Sinne seiner Erfinder. Die "American Freedom Defense Initiative" (Afdi), ein loser, aber in Sachen Öffentlichkeitsarbeit schlagkräftiger Zusammenschluss von namentlich bekannten, aber wenig namhaften Anti-Islamismus-Aktivisten, war in New York erstmals Ende des vergangenen Jahrzehnts ungut aufgefallen. Damals tauchte ihr Name in den Medien im Zusammenhang mit dem geplanten Bau einer Moschee in der Nähe des "Ground Zero" auf, dort, wo bis zum 11. September 2001 die Türme des World Trade Centers standen. Mittels ganzseitiger Zeitungsannoncen protestierte Adfi dagegen und trug so das ihre bei, das Projekt zu begraben. Seitdem hörte man kaum noch von ihr. Bis Montag dieser Woche ihre neue Kampagne anlief. Einen Monat wird sie dauern.
Diesmal kaufte die Gruppe Werbung nicht in Zeitungen, sondern dort, wo ihr nahezu jeder Durchschnittsbewohner der größten Stadt Amerikas ausgesetzt ist: in den U-Bahn-Stationen, in denen täglich Millionen New Yorker wie Touristen auf die Züge warten. Der Zeitpunkt des Kampagnenstarts - den die stadteigene Betreibergesellschaft per Gerichtsbeschluss verhindern wollte, aber damit beim auf die Meinungsfreiheit pochenden Richter auf Granit biss - war nicht zufällig gewählt.
Seit Anfang der Woche herrscht auf den Straßen von Midtown Manhattan jener alljährlich wiederkehrende Ausnahmezustand, den die Generalversammlung der hier ansässigen Vereinten Nationen zeitigt. Rund zweieinhalb Wochen lang geben sich am East River die Staatsoberhäupter, Premier- und Außenminister von 193 Mitgliedsstaaten (und die Vertreter von Nationen, die diesen Status anstreben) die Klinken in die Hand. Die Themenpalette ist vielfältig: Bürgerkrieg in Syrien, weite Teile der muslimischen Welt irgendwo zwischen Aufbruch und Islamistenterror, in der Eurozone die Währung unter Druck, Chinas Inselstreit mit Japan, Amerika vor der Präsidentschaftswahl - und das sind nur die politischen Probleme (Stichworte schmelzende Pole, Fracking, iPhone5-Kartendienst): Es gab und gibt viel zu besprechen bei der 67. Auflage der Generalversammlung. Theoretisch. Praktisch sieht die Sache anders aus.
Die optische Relativierung der Macht
Dass die UNO ihren Sitz am Ostufer von Manhattan gebaut hat, ist der politischen Situation unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg geschuldet, und, wie sich jedes Jahr aufs Neue herausstellt, war das nicht die schlechteste Entscheidung. New York Citys Eigenschaft, kraft seiner einzigartigen Kulisse selbst die impertinentesten Bewohner des Planeten auf ein halbwegs erträgliches Maß zusammenzustutzen, erweist sich auch im 21. Jahrhundert als Vorteil; im Schatten der Hochhäuser tritt offener als anderswo zutage, dass die Legionen an Staatenlenkern eben auch nur Menschen sind. Wer daheim den starken Mann gibt (beziehungsweise glaubt, ihn markieren zu müssen), wird im UNO-Rahmen verlässlich zum Statisten degradiert, aber das macht - nichts, und damit auch einen Teil des Zaubers aus. Dem Rest kommt der Umstand zugute, dass das Schauspiel ein so kurzweiliges wie von hinten bis vorne durchgeplantes ist, bei dem nichts dem Zufall überlassen bleibt. Praktisch alles, was hier von den jeweiligen Delegationsführern präsentiert und gefordert wird, ist von langer Hand vorbereitet. Die Kernpunkte von Barack Obamas Rede konnte man schon zwölf Stunden vorher in der Online-Ausgabe der "New York Times" nachlesen. Spontaneität hat keinen Platz an diesem Ort, und die Arbeit der Repräsentanten Österreichs bildet dabei keine Ausnahme. Was nicht ausschließt, dass auch kleine Länder manchmal Einfluss auf große Entscheidungen haben können.
Österreich kann sich in New York profilieren
Martin Sajdik etwa, der heimische UN-Botschafter, hat sich redlichst bemüht, den Fokus auf sein Steckenpferd, die Stärkung der "Rule of law", zu lenken: "Nicht nur auf die zeigen, die geben, sondern auch auf die, die nehmen", wie er es zusammenfasst. Sajdiks Initiative ist es zu verdanken, dass sich Heinz Fischer an einem herrlichen New Yorker Herbsttag im sonnendurchfluteten 12. Stock eines Hochhauses am United Nations Plaza in illustrer Gesellschaft wiederfindet. Mit dem Präsidenten von Estland und den Außenministern von Japan und Tunesien diskutiert er über zeitgemäße Methoden des Kampfs gegen "die Krake Korruption". Die SPÖ-Inseratenaffäre umschifft der Bundespräsident dabei so geschickt wie routiniert ("Jeder muss sich an seiner eigenen Nase fassen, ganz klar"). Auf dem UNO-Parkett wandelt der Bundespräsident gewohnt sicher, und das ist, glaubt man den Geschichten, die von lang gedienten Diplomaten aus dem In- und Ausland hinter vorgehaltener Hand erzählt werden, nicht selbstverständlich. Vorbei die Zeiten, als einer seiner Vorgänger samt Gefolgschaft im Hauptgebäude einem wichtigen europäischen Staatsoberhaupt so lange buchstäblich hinterher rannte, bis der keinen Ausweg mehr fand und sich am Ende, entnervt aber doch, dem Dialog stellen musste; oder jene Posse, als sich ein ehemaliger Bundeskanzler dem damaligen Gouverneur von Kalifornien nach dessen UN-Rede zwecks eines gemeinsamen Fotos in den Weg stellte, weil die "Kronen Zeitung" zuvor fälschlich berichtet hatte, dass ein Treffen zwischen den beiden geplant sei und der Kanzler das Kleinformat nicht blamieren wollte. Fischer kann derartiges nicht passieren. Er bleibt stets souverän, weiß nicht nur um die Etikette, sondern fügt sich ihr auch. Ebenso wie Außenminister und ÖVP-Chef Michael Spindelegger, der in New York, anders als daheim, eher positiv auffällt, weil, wie es der Nachrichtenmoderator von "Sky News Arabia" formuliert: "Euren Minister mag jeder, weil er nicht an Politik, sondern nur an Handel interessiert ist. Das rechnen ihm vor allem in der arabischen Welt viele hoch an." Das ist das eine. Nachdem Spindelegger aber auch das Gespräch mit den Vertretern hoher jüdischer Organisationen sucht - was angesichts der österreichischen Geschichte keine Selbstverständlichkeit darstellt, erfährt er dafür Respekt.
Der Zauber liegt im Informellen
Die Leidtragenden der Fingerspitzen-Diplomatie sind die Vertreter der Medien. Nachdem die inhaltlich wirklich interessanten Gespräche der Österreicher nicht auf öffentlichem Parkett, sondern ausschließlich im Rahmen von bilateralen oder privaten Treffen stattfinden - Heinz Fischer traf unter anderen den Emir von Katar, Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas, Ex-US-Außenminister Henry Kissinger; Michael Spindelegger den Generalsekretär der Arabischen Liga sowie Amtskollegen aus Tunesien, Irak, den VAE, Kasachstan -, haben sie kaum Gehaltvolles zu berichten. Was sie durch nichts von ihren Kollegen aus dem Rest der Welt unterscheidet. Neuigkeiten mit echtem Nachrichtenwert sind bei einer UN-Generalversammlung Mangelware, Ausnahmen bestätigen die Regel, der Unterhaltungswert beschränkt sich auf Polit-Celebrity-Schau. Der Zauber des Events liegt im Informellen, aber tut er das nicht immer? Die Welt ist ein chaotischer Ort, und sie wird es bleiben. Aber solange es Rituale wie die Generalversammlung und ihre Begleiterscheinungen gibt, braucht einem nicht Angst und Bange zu werden. Anders als in der New Yorker U-Bahn.