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Mehr als eine Glaubensfrage

Von Walter Hämmerle

Wissen

Rudolf Burger: "Niemand und nichts kann wollen, was man will." | Gehirnforscher Deecke und Theologe Henckel-Donnersmarck halten am freien Willen fest. | Semmering. Was wäre der Mensch ohne freien Willen - wenn er einen solchen denn tatsächlich besitzt? Nur ein fremdgesteuerter Zombie? Oder auch nur wieder - ein Mensch? Die Frage rührt an einem zentralen Punkt des abendländischen Menschenbildes, scheint doch die zunehmend erfolgreiche Entzifferung der neurologischen Vorgänge im Gehirn dem Menschen seinen freien Willen abzuerkennen. Diese belegen, dass das Gehirn nach deterministischen Naturgesetzen funktioniert.


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Der "Freiheit des Willens" widmete sich nun ein prominent besetztes Symposium des Internationalen Instituts für Liberale Politik in Kooperation mit der "Wiener Zeitung" am Semmering. Dabei prallten insbesondere die Positionen von Philosophie, Religion und Neurologie unversöhnt, wenngleich mit überraschender Rollenteilung, aufeinander.

Für Rudolf Burger, habilitierter Philosoph, studierter Physiker und ehemaliger Rektor der Universität für angewandte Kunst, ist der freie Wille in erster Linie ein ideengeschichtliches Produkt der abendländischen Philosophie, wobei er Augustinus (354-430 n. Chr.) die Rolle des "Erfinders" zuweist. Den alten Griechen sei die Vorstellung eines freien Willens dagegen noch gänzlich fremd gewesen.

Ein Wille ist laut Burger nur dann völlig frei, wenn er sich selbst auch Nicht-Wollen kann, dies sei jedoch rational nicht fassbar. Zudem würde jeder Wille ohne vorangehende Kausalität - dies als Voraussetzung für seine Freiheit - stets neue Kausalitätsreihen in die Welt setzen. Für Burger ein Szenario, das logisch zu Ende gedacht nur im Chaos münden könne. Als Philosoph stellt daher Burger in der Tradition von Schopenhauer die Existenz des freien Willens in Abrede.

Diese Einsicht widerspreche jedoch der allgemeinen Alltagserfahrung, die auf dem freien Willen des Individuums beruht. Burger: "Als Subjekte empfinden wir uns als frei, als Objekte sind wir determiniert - dies ist ein unauflösbarer Widerspruch." Burgers Lösungsvorschlag: "Es existiert kein Widerspruch, weil es kein isoliertes Wollen gibt. Niemand und nichts kann wollen, was man will." Der freie Wille ist für ihn "ein post-augustinischer Irrtum, und wir brauchen die Neurologie, um ihn wieder loszuwerden", so Burger mit Ironie. Am menschlichen moralischen Universum würde sich durch eine ersatzlose Abschaffung des freien Willens kein Jota ändern, umso mehr als das Konzept eingeführt wurde, "nicht um den Menschen zu befreien, sondern um ihn belasten zu können", so Burger.

Nun war die Reihe an Lüder Deecke, Gehirnforscher und ehemaliger Vorstand der Neurologie am Wiener AKH. Von der Papierform her hätte man sich vom Mediziner eine Unterstützung für die Thesen Burgers erwarten können, doch es kam anders. Deecke beschreibt das Gehirn als einen riesigen Eisberg, bei dem nur das Bewusstsein als höchste Instanz erkennbar aus dem Wasser rage. Nun hat Deecke in zahlreichen Experimenten das Phänomen des sogenannten Bereitschaftspotenzials erforscht, wonach Gehirnaktivitäten bereits ansteigen, noch bevor einem eine Entscheidung überhaupt bewusst wird. Dies könne nicht verwundern, so Deecke, da das Bewusstsein niemals ganz am Beginn stehe. An der Existenz des freien Willens will er aber deswegen keinesfalls rütteln, denn "ohne ihn hätte der Mensch keine Verantwortlichkeit".

Mit dieser Position konnte sich die Theologie in Person von Gregor Henckel-Donnersmarck, Abt des Stiftes Heiligenkreuz, natürlich gut anfreunden. Entsprechend hielt er auch Burger entgegen, dass Augustinus keinesfalls als Erfinder, sondern lediglich der Entdecker des freien Willens angesehen werden könne. Burgers materialistischem Skeptizismus setzte der Abt die christliche Lehre entgegen, wonach der Mensch zur Freiheit berufen sei. Allerdings setzte er Friedrich Nietzsches "Freiheit zu", das den Willen über alles stellt, die sinnstiftende "Freiheit zum Guten" entgegen.

Am Ende standen sich die Positionen unversöhnt gegenüber, ein Kompromiss zwischen dem Philosophen sowie dem Neurologen und dem Theologen war nicht möglich. Der freie Wille - oder eben gewisse Gehirnströme - ließen die Mehrheit des Publikums zu letzteren tendieren.

"Das Konzept des freien Willens wurde eingeführt, nicht um den Menschen zu befreien, sondern um ihn belasten zu können." Rudolf Burger

"Das Ziel der menschlichen Freiheit ist es, im Guten zu ruhen." Abt Henckel-Donnersmarck