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Mehr als eine Problemverschiebung?

Von Christine Zeiner

Wirtschaft

Seit 1. September des heurigen Jahres ermöglicht eine Novelle zum Berufsausbildungsgesetz die Ausbildungsoption einer ein- bis dreijährigen Teilqualifizierung. Jenen Jugendlichen, denen eine herkömmliche Lehre zu schwierig ist, die bei einer Beschäftigungstherapie aber unterfordert wären, könnten damit neue Perspektiven eröffnet werden.


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"Das ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, weil eine Mischung aus Praxis und Theorie garantiert ist", beurteilt Barbara Oberndorfer von der Einrichtung Integration Österreich im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" die Novelle durchaus positiv. Mit dem Zertifikat sei es leichter, eine Arbeitsstelle zu bekommen, als dies etwa bei einer Beschäftigungstherapie oder der Tätigkeit in einer geschützten Werkstätte der Fall sei.

Zielgruppen

Die Novelle ist für Menschen mit einer Sinnesbehinderung und emotionalen Benachteiligung vorgesehen; weitere "Personen" (im Gesetzestext ist von keiner Altersbegrenzung die Rede), die dafür in Frage kommen, haben keinen oder einen negativen Hauptschulabschluss, ein sonderpädagogisches Zentrum bzw. einen Schultyp mit speziellen Förderungen besucht.

"Bei der Teilqualifizierung werden von einer Lehre bestimmte Teile herausgepickt, die für den Jugendlichen machbar sind", erklärte Arthur Baier von der Arbeiterkammer Wien kürzlich im Rahmen einer Podiumsdiskussion mit dem Titel "Teilqualifizierung wohin? Jugendarbeitslosigkeit zwischen Lehre und Hilfsarbeit". Im Unterschied zur Vorlehre, die am 1. September ausgelaufen ist, werden die Lehrverträge, die sich auf die aktuelle Novelle beziehen, eingetragen - sofern eine Berufsausbildungsassistenz die Ausbildung begleitet.

Begleiter für beide Seiten

Die Berufsausbildungsassistenz stelle ein wichtiges Element der integrativen Berufsausbildung dar, die sozialpädagogisch direkt Probleme lösen soll und gemeinsam mit den Beteiligten Ziele und die Inhalte der Ausbildung festmacht. Weder Lehrherr noch Lehrlinge und Eltern seien "allein", meint Oberndorfer. Sie hofft, dass dadurch die Betriebe ermuntert werden, einen Teilqualifizierungslehrling aufzunehmen: "Wenn sich die Betriebe nicht mit dem Rundherum an Organisation und möglichen Problemen abgeben müssen, dann könnte das durchaus ein Anreiz sein, es mit dem Jugendlichen zu probieren."

Keine "Brandmarkung"

Laut dem AK-Experten Baier soll es sich um ein "offenes System" handeln: Der Jugendliche solle nicht als Teilqualifizierungslehrling abgestempelt werden, denn "wenn der berühmte Knopf aufgeht", müsse die Möglichkeit bestehen, zu einer verlängerten Lehre zu wechseln oder von einer solchen zu einer Lehre normalen Umfangs. Ein umgekehrter Wechsel sei ebenfalls möglich. Neben der Teilqualifizierung besteht nach wie vor die Möglichkeit einer verlängerten Ausbildung um ein bzw. zwei Jahre. So kann beispielsweise eine Tischlerlehre statt in drei Jahren in vier oder fünf Jahren absolviert werden.

Wermutstropfen Berufsschule

Wermutstropfen der neuen Ausbildungsmöglichkeit ist den Experten zufolge der Besuch der Berufsschule. Es handle sich im Gesetzestext um eine "schwammige" Formulierung, aus der die Pflicht zum Schulbesuch und somit die Möglichkeit des Wissenserwerbs nicht klar geregelt sei und von Fall zu Fall unterschiedlich vereinbart werden könne. Wird die Vereinbarung nicht getroffen, handle es sich um eine Vorenthaltung von Bildung, meint etwa Baier.

Heide Manhartsberger vom Pädagogischen Institut des Bundes umreißt diesbezüglich einige mögliche Probleme: "Wie kann ein Team von Lehrern Teilqualifizierungsschritte festlegen, ohne Jugendliche vorher zu kennen? In welcher Form soll beurteilt werden? Von der Idee ist das wunderschön gedacht, aber wie soll ein Lehrer drei, vier oder fünf Jugendliche bei den jeweils unterschiedlichen Unterrichtsschritten betreuen und dabei die restlichen 25 nicht vernachlässigen?" Oberndorfer sieht das ähnlich: Ein Jugendlicher könne zwar eine verlängerte Lehre in Anspruch nehmen, Werteinheiten für die Berufsschule seien aber nur für drei Jahre vorgesehen. Damit seien die Werteinheiten für den Schulbesuch im letzten Lehrjahr bereits verbraucht. Zudem seien keine Zusatzlehrer oder kleinere Klassen vorgesehen.

SPÖ-Sozialsprecherin Heidrun Silhavy meint dazu: "Über alle Parteien hinweg war klar, dass man sich um diese Jugendlichen bemühen muss. Der Streitpunkt war die Berufsschulpflicht. Wir können nicht davon ausgehen, dass dieses Gesetz gleich der optimale Wurf ist, da fehlt uns einfach die Erfahrung."

Betriebe vor Institutionen

Doch nicht nur in Sachen schulischer Bildung wird man abwarten müssen, ob sich das neue Modell in der Praxis bewähren kann: Auch die dauerhafte Integration der Jugendlichen mit Teilqualifizierung stellen die Experten in Frage. Petra Erhart von der Jobfabrik, einer Beschäftigungsinitiative der Volkshilfe für Jugendliche mit Lernbehinderungen, befürchtet, ein Anknüpfen an die Wirtschaft könne nicht in dem erhofften Ausmaß passieren: "Ich denke, wir werden eine Problemverschiebung von ein bis zwei Jahren haben."

Jugendliche könnten nun nach ihrer Ausbildung mit einem Zertifikat aufwarten, ihr Wunsch nach einem Arbeitsplatz müsse aber trotzdem nicht in Erfüllung gehen. "Ein Beispiel: Eine Institution bietet eine Teilqualifizierung für den Tischlerberuf an. Es gibt aber schon zu viele Tischlerlehrlinge. Jene, die die Teilqualifizierung abgeschlossen haben, werden wahrscheinlich ohne Job da stehen."

Grundsätzlich sei aber trotzdem jede Art der Ausbildung willkommen, bevor die Jugendlichen auf der Straße stünden, sind sich Erhart und Silhavy einig.

Wirtschaft gefordert

Funktionieren kann das neue Ausbildungsmodell nur dann, wenn die Wirtschaft davon auch Gebrauch macht. "Wenn Betriebe so etwas anbieten, müssen wir uns freuen!", weiß Erhart, denn "zur Zeit ist es so, dass die Wirtschaft generell zu wenig Ausbildungsplätze anbietet." Eine Ausbildung in einem Betrieb habe zwar immer Vorrang, als zweitbeste Möglichkeit stünden aber weiter Institutionen wie die Jobfabrik parat.

Weitere Informationen für Jugendliche und Eltern: http://www.betrifftintegration.at