Welche Rolle spielt das Theater | in der multiethnischen Stadt Wien?
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Ein Gespräch mit den vier Kuratoren der Projektreihe "Pimp my Integration": Asli Kislal und Carolin Vikoler, Leiterinnen von "Thehater" und "daskunst" sowie Harald Posch und Ali M. Abdullah, den Intendanten der Garage X.
"Wiener Zeitung":Was ist Ihr Anliegenbei "Pimp my Integration"?
Asli Kislal: Theater gilt gemeinhin als Spiegelbild der Gesellschaft. Aber gerade beim Thema Migration hat sich die darstellende Kunst weit von der Realität entfernt. Allein in Wien haben über 40 Prozent der Bewohner einen Migrationshintergrund. Von diesen demographischen Veränderungen spürt man auf den Bühnen Wiens jedoch herzlich wenig.
Ali M. Abdullah: Für Menschen, die nicht von österreichischen Vorfahren abstammen, ist es alles andere als selbstverständlich, als Teil des öffentlichen Lebens wahrgenommen zu werden. Im Grunde haben alle ein Recht auf Mitgestaltung der Kultur dieser Stadt. Theaterkünstler mit Migrationshintergrund bilden da immer noch eine Ausnahme.
Sie meinen, Menschen mit dunkler Hautfarbe sollen Hamlet oder Gretchen spielen?
Kislal: In der Türkei wird auch Hamlet gespielt und keiner fragt danach, ob ein türkischer Schauspieler dänisch aussehen muss. Es gibt mehr als nur eine Wahrheit: Es geht um die Öffnung der Sichtweisen, die Erweiterung von Sehgewohnheiten. Die Erwartungshaltung gegenüber Klassikern steht dabei gar nicht so im Vordergrund, es geht allgemeiner darum, Künstler aus anderen Herkunftsländern nicht in Klischeerollen wahrzunehmen. Zu Beginn meiner eigenen Laufbahn als Schauspielerin wurde ich nahezu ausschließlich als Kopftuchträgerin besetzt, die zwangsverheiratet wird. Das kann doch nicht sein, dass man ständig auf die Opferrolle reduziert wird.
Gibt es für Menschen mit Migrationshintergrund also auch Hürden bei der Schauspielausbildung?
Abdullah: Für dieses komplexe Thema werden wir, so fürchte ich, auch während der Projektwochen keine Lösung finden. Wir versuchen Schwachstellen aufzeigen - das Problem mit den Schauspielschulen ist nur der Anfang.
Kislal: Staatliche Theater haben gewisse Ressentiments, wenn es um die Besetzung von Schauspielern mit anderer Hautfarbe geht. Sogar die grausamen Castingshows im Fernsehen sind uns schon voraus.
Harald Posch: Vielleicht bringt uns eine Art Quotenlösung weiter? Warum ist in Wien kein Künstler mit Migrationshintergrund Intendant?
Selbst im Publikum sind Besucher mit dunkler Hautfarbe selten.
Carolin Vikoler: Das hat sicher mit dem Angebot der Bühnen zu tun, bei dem Lebenswelten von Migranten praktisch nicht vorkommen.
Abdullah: Wir sind selbst neugierig, ob wir bei "Pimp my Integration" neues Publikum gewinnen werden.
Wie stehen Sie selbst zum Thema Integration?
Posch: Der Begriff gehört hinterfragt, das starre Denken muss aufgebrochen werden. Was macht einen Österreicher aus? Wer vermag das letztgültig zu beantworten? Dieses Land hat seit je viel Zuzug gesehen. Eigentlich müsste sich der Begriff von selbst abschaffen.
Vikoler: Der Begriff "Integration" ist auch deshalb problematisch, weil dadurch sofort eine Opposition zwischen einem "Wir" und "die Anderen" aufgebaut wird. Warum will man Menschen auf ihre ethnische Herkunft reduzieren? Wir weichen bei unserem Projekt deshalb auf den Begriff "Postmigration" aus, der inhaltlich über die Migration hinausweist und so die Möglichkeit eröffnet, die gesamte Gesellschaft mitzudenken.
Welche Rolle kann das Theater in der Einwanderungsgesellschaft einnehmen?
Vikoler: Die Politik benützt Theater gern, um die nicht funktionierende Integrationspolitik aufzupolieren, die darstellende Kunst wird dann zu einem erweiterten Sozialprogramm. Uns geht es aber darum, das Wirklichkeitsbild auch durch das Theater upzudaten.
Posch: Theater kann gesellschaftspolitische Missstände auf die Bühne bringen, neue Positionen aufzeigen. Eine falsche Integrationspolitik lässt sich so allerdings nicht korrigieren.