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Mehr als Nazis, Pegida und AfD

Von Alexander Dworzak

Politik
Auch von Morddrohungen ließ sich Eric Hattke nicht einschüchtern.
© Amac Garbe

Eric Hattke trotzt rechten Gruppierungen in Sachsen.


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Dresden/Wien. Wenn ein Brandanschlag auf ein zu beziehendes Asylwerberheim verübt wird. Und Bürger die Löscharbeiten behindern. Wenn ein Bus mit Asylwerbern belagert wird. Und die Menge "Holt sie raus!" sowie "Wir sind das Volk!" brüllt. Wenn die Kundgebung gegen die Errichtung einer Flüchtlingsunterkunft in Gewalt umschlägt, 30 Polizisten verletzt werden. Und der Mob von der rechtsextremen NPD orchestriert wird. Dann heißt es: Erklär mir Sachsen.

Die Vorfälle von Bautzen, Clausnitz und Heidenau ab 2015 sorgten für Empörung. Medien mit Hauptsitz im Westen der Bundesrepublik schraubten ihre Berichterstattung über die Region in die Höhe - und fuhren sie bald danach wieder zurück. Bis vor zwei Wochen: Ein Anti-Merkel-Demonstrant drangsalierte ein Team der ZDF-Sendung "Frontal 21" in Dresden und spannte die überforderte sächsische Polizei für seine Zwecke ein. Dass sich der Mann mit dem Schlapphut in den Deutschlandfarben als - mittlerweile ehemaliger - Mitarbeiter des sächsischen Landeskriminalamts herausstellte, brachte Politik und Exekutive in Erklärungsnot. Kurz darauf folgte der Mord an Daniel H. in Chemnitz, tatverdächtig sind ein Iraker und ein Syrer. Rechtspopulistische und rechtsextreme Gruppierungen instrumentalisieren das schreckliche Messerattentat; bei einer Demonstration zeigten mehrere Personen den Hitlergruß, es gab Verletzte.

Pegida ließ die Hemmschwelle sinken

Sachsen ist wieder zurück in unguter Erinnerung. Die Triebfedern des Hasses waren nie weg. Pegida feiert demnächst ihr vierjähriges Bestehen. Die "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" bringen zwar keine 25.000 Demonstranten mehr auf Dresdens Straßen. Aber ein harter Kern ist geblieben, die wöchentlichen Proteste reißen nicht ab. Die Gruppe hat ihr bürgerliches Mäntelchen abgestreift, lädt zum Beispiel Vertreter der rechtsextremen Identitären Bewegung zu ihren Kundgebungen. Und das Publikum skandiert "Absaufen! Absaufen!", wenn die Rede von einem Schiff ist, das mit 234 Geretteten im Mittelmeer herumirrt, weil es nirgends einlaufen darf. So geschehen im Juni.

Die Hemmschwelle sei seit Pegida dramatisch gesunken, sagte Heidenaus Bürgermeister Jürgen Opitz dem "Spiegel". Eric Hattke bekam dies am eigenen Leib zu spüren. "Ich habe vor Pegida nicht gesehen, wie tief das rechte Gedankengut geht und wie sehr man bereit ist, Gewalt anzuwenden", sagt er zur "Wiener Zeitung". Ab 2014 engagierte sich der damals 23-jährige Student bei "Dresden für alle". 100 Organisationen schlossen sich zusammen, veranstalteten ebenfalls Kundgebungen. Bis zu 10.000 Personen kamen, um die andere Seite Sachsens zu zeigen. Diese sollte nicht ständig von rechten Umtrieben verdeckt werden. Hattke wurde Sprecher von "Dresden für alle" - und mit Morddrohungen überzogen: "Besonders gerne mochte man mich an Laternen aufhängen", sagt er trocken. Den Gewaltaufrufen trotzte er nach dem Motto: Jetzt erst recht.

Der Alltag veränderte sich, Selbstverständlichkeiten waren keine mehr. Hattke konnte nicht einmal mehr ein Namensschild an der Türklingel anbringen. Sobald er in einen Bus stieg oder einen Raum mit größerer Menschenmenge betrat, scannte er seine Umgebung nach Personen, die Hattke gefährlich sein könnten. "Man muss vorsichtig sein, aber nicht ängstlich."

Eineinhalb Jahre widmete Eric Hattke fast seine ganze Zeit Projekten, die ein weltoffenes und tolerantes Dresden unterstützen sollten, kellnerte ein bisschen nebenbei, um über die Runden zu kommen. 2016 stieg er aus. Er möchte Ideen schneller umsetzen als beim großen Netzwerk "Dresden für alle" und gründet mit ehemaligen Mitstreitern den Verein "Atticus", benannt nach dem Anwalt und Bürgerrechtler aus dem Roman von Harper Lee. Hattke betont, er sei kein Einzelkämpfer. 28 Personen aus sechs Nationen engagieren sich bei "Atticus". An der Diskussion "Tacheles zum Rassismus in Sachsen" nahm auch Ministerpräsident Michael Kretschmer teil.

Dessen CDU bagatellisierte lange rechte Tendenzen. Es galt Kurt Biedenkopfs Diktum: "Die Sachsen sind immun gegen den Rechtsradikalismus", sagte der von 1990 bis 2003 amtierende Ministerpräsident. Von 1054 rechtextremistischen Gewalttaten in Deutschland im vergangenen Jahr entfielen gemäß Verfassungsschutzbericht 95 auf Sachsen. Damit liegt der Freistaat auf Rang fünf; hinter Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Berlin. Zählt man nicht nur die Gewaltakte, sondern sämtliche rechtsmotivierte Straftaten, waren es 2017 bereits 2140. "Rein zahlenmäßig" sei Sachsen eine rechtsextremistische Hochburg, sagt der Präsident des dortigen Landesverfassungsschutzes, Gordian Meyer-Plath.

Das spiegelt sich auch in der Parteienlandschaft wider. Die in Teilen sogar neonazistische NPD saß zehn Jahre - von 2004 bis 2014 - im sächsischen Landtag. 2004 errang sie sogar mehr als neun Prozent. Sie habe "eine der beständigsten Strukturen", erklärt Meyer-Plath.

"Sachsen hat ein Problem mit Gewaltbereitschaft und Radikalismus, das haben aber auch andere Bundesländer. Es besteht aber ein Problem im Umgang mit rechten Tendenzen", lautet Eric Hattkes Urteil. "Das Totschweigen rechter Gruppierungen reicht bis in die DDR zurück. Da der Staat per se antifaschistisch war, wurden die Täter als Randalierer bezeichnet. Und die schlechte politische Bildung in der DDR setzte sich unter der CDU fort."

Mit dem Zusammenbruch des DDR-Regimes verloren viele Bürger ihren weltanschaulichen und ethischen Halt. "In Ostdeutschland gibt es Teile der Gesellschaft, die extrem verunsichert, ja erschüttert sind", sagt Frank Richter in der "Süddeutschen Zeitung". Der Theologe war in der DDR Bürgerrechtler, leitete später die sächsische Landeszentrale für politische Bildung. Richter meint, die Lücke des Marxismus-Leninismus in der DDR sei durch Neoliberalismus und Nationalismus gefüllt worden. Letzterer sorgte für Zugehörigkeit, Anerkennung und Wertschätzung.

Frank Richter schildert seine Eindrücke aus der Perspektive eines Bürgerlichen. Linksliberale Stimmen, die den vermeintlichen Mainstream des Westens bilden, fristen in Sachsen ein Schattendasein. Das kultivierte Dresden, vulgo Elbflorenz, sah sich schon früh als Gegenpol zum Moloch Berlin. Aus Sachsen stammten zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch die größten Widerstände gegen die westliche Zivilisation, erinnert Deutschlands bekanntester Historiker, Heinrich August Winkler. "Der Dresdner Bürgerpatriot behält seine innere Skepsis gegenüber dem Westen und gewinnt an Selbstbewusstsein", schrieb die "Zeit" in einem der vielen Sachsen-Erklärversuche.

Traditionelle Abgrenzung vom Westen

Eine Ost-Perspektive: Nach den Vorfällen in Chemnitz bitten die "Dresdner Neuesten Nachrichten" den lokalen Werber Olaf Schumann um eine Analyse. Er konstatiert Angst der Bürger um ihren Wohlstand, "weil West-Eliten nicht die Risiken der Flüchtlingskrise erkennen".

In dieser Denkschule wird Pegida zum Wachrüttler. Am Samstag veranstaltet die Bewegung eine Kundgebung für den getöteten Daniel H., und zwar gemeinsam mit drei AfD-Landesverbänden. In Sachsen kommt die AfD bereits auf 25 Prozent. Wahrscheinlich wird sie im Landtagswahlkampf 2019 mit Pegida kooperieren.

Hattke attestiert, der seit Ende 2017 amtierende Ministerpräsident Michael Kretschmer kämpfe gegen Rassismus an - stets aber mit dem Zusatz, es ginge nur um eine verschwindend kleine Minderheit. "Teile der Sachsen-CDU versuchen aber noch immer, nach rechts anzuschließen, wie es die AfD vormacht", kritisiert Hattke. So geschehen in der Causa um den Mitarbeiter des sächsischen Landeskriminalamtes. Frank Kupfer, Chef der CDU-Landtagsfraktion, kommentiere einen ZDF-Beitrag auf Facebook mit den Worten: "Öffentlich rechtliche [sic] ... dafür bezahlen wir Beiträge."

Ungeachtet der Probleme sieht Eric Hattke Dresden als seine Heimat an. "Es gibt viele sympathische Menschen, eine große Kulturszene. Und die Stadt ist sehr grün." Er kann wieder seinen Namen an der Türklingel anbringen. Der "Scanner" in Bus und Räumen läuft aber weiterhin: "Diesen Scanner muss leider auch fast jeder Mensch in Dresden mit einer anderen Hautfarbe gebrauchen."