Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 5 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wie schnell sich die Zeiten ändern! Noch bei der Wahl am 15. Oktober 2017 war Sehnsucht nach Veränderung die treibende Kraft, die erstmals seit 2002 die ÖVP zur stärksten Partei gemacht hat. Jetzt, nur zwei Jahre später, ist der Wunsch nach Stabilität eines der großen stummen Wahlmotive. Und diese Stabilität wird nur durch neuerliche Veränderung zu haben sein. So wie schon das Ende der Koalition mit der FPÖ notwendig war, um einigermaßen Ruhe nach dem "Ibiza"-Sturm in die Republik einkehren zu lassen.
Jetzt, am Ende dieses Wahlkampfs, gleicht die FPÖ einem unter Druck stehenden Vulkan, dessen Erschütterungen in immer kürzeren Intervallen zu unkontrollierbaren Risikofaktoren geworden sind. Diese Form von radikaler Unberechenbarkeit, um von allen anderen negativen Aspekten jetzt einmal abzusehen, macht die Freiheitlichen für jeden potenziellen Partner so gefährlich. In dieser Partei sind permanent Kräfte am Werk, die sich für den Moment jeder inneren wie äußeren Domestikation und Kontrolle entziehen. Womöglich liegt in dieser Kelomat-Disposition die beste Erklärung für den hartnäckigen Erfolg und die Neigung zur jähen Selbstzerstörung dieser Partei.
Die Antwort auf die Frage, welche Veränderung nun die ersehnte Stabilität bringen soll, wird noch länger auf sich warten lassen.
Am Sonntagabend wird erst ein vorläufiges Endergebnis feststehen, das endgültige erst am Donnerstag. Und erst dann beginnt die Suche nach einer neuen Regierungskonstellation. Was am Ende dabei herauskommt, weiß - im Gegensatz zum letzten Mal - wahrscheinlich nicht einmal der voraussichtliche Wahlsieger, ÖVP-Spitzenkandidat Sebastian Kurz.
Österreich ist endgültig zur komplizierten Republik geworden; ein Land im Unruhezustand, stolz auf das Erreichte, doch verunsichert mit Blick auf das Kommende und gerade deshalb ohne klare Richtung; mit Bürgern, die am eigenen Leib spüren, wie sich die Welt um sie weiterdreht; die wissen, dass sich die Dinge ändern müssen, damit wenigstens einiges beim Alten bleiben kann; und ein Land mit einer Generation von Politikern, die noch kein Rezept gefunden hat, wie sie die Notwendigkeiten der großen Welt mit den Bedürfnissen und Sehnsüchten des kleinen Österreich in Einklang bringen kann.
Vor allem aber wissen die Menschen noch nicht, aus welchem Stoff diese Politikergeneration gemacht ist; ob sie das Zeug zu Staatsmännern und Staatsfrauen hat oder doch wieder nur für eine Als-ob-Politik taugt.
Diese Ratlosigkeit ist keine Schande, zumal wir längst nicht allein mit ihr dastehen. Und sie macht Österreich am Vorabend dieser Nationalratswahl zu einem sehr normalen Land, ja geradezu zum europäischen Paradebeispiel.