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Mehr als nur die Balkanmeile

Von Stefan Beig

Politik
Das Café Laby auf der Balkanmeile ist serbisches Stammtreff. Tanja Rajkovic ist hier aber selten.
© © Stanislav Jenis

Austro-Serben besinnen sich auf ihre Wurzeln und ärgern sich über Klischees.


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Wien. Ein großer EU-Fan ist Tanja Rajkovic nicht. Als zu wenig transparent empfindet sie den europäischen Staatenbund. Aber dass Serbien am 28. Februar der EU-Beitrittskandidatenstatus verliehen wurde, begeistert sie dennoch: "Es gibt in Europa nur mehr ein paar Nachzügler, zu denen Serbien gehört. Es freut mich sehr, dass wir endlich so weit sind. Diese Entwicklung wird unser Land fördern." Die Österreichisch Serbische Gesellschaft (ÖSG), der auch Rajkovic angehört, organisiert aus diesem Anlass am 26. April eine eigene Veranstaltung im Europahaus.

"Die Wahrnehmung Serbiens wird sich nun ändern", hofft Rajkovic. Bisher sei das Land primär über Krieg und Kriegsverbrecher wahrgenommen worden, auf die serbische Kultur - und ihre traditionelle Verbundenheit mit Österreich - wurde vergessen. "Auch ich habe mich früher nicht besonders mit unserer Kultur befasst", erzählt die 22-jährige Russisch-Studentin. "Je älter ich werde, desto stolzer betone ich meine Zugehörigkeit zu den Serben." Rajkovic gehört zu einer jungen Generation von Austro-Serben, die sich wieder stärker mit ihrer Herkunft befassen. Um das Bewusstsein für serbische Kultur zu stärken, wurde Rajkovic im letzten Mai gemeinsam mit dem Wirtschaftsstudenten Alexander Stijakovic Jugend- und Studentenbeauftragte der ÖSG.

"Wir wollen die Jugendlichen motivieren, sich mehr mit ihrer Kultur auseinanderzusetzen", betont Rajkovic. Ein verstärktes Interesse für ihre Herkunft entwickelt hat auch Suzana Živković, junges engagiertes ÖSG-Mitglied und Lehramtsstudentin in Wien: "Wir sind so aufgewachsen, dass wir angepasst sind", berichtet sie. "Ich habe zunächst sehr schlecht Serbisch gesprochen. Meine Freunde waren alle Österreicher." Doch später wollte sie dann etwa die kyrillische Schrift kennenlernen.

Einige junge Serben stören gängige Stereotype: "Ich habe es satt, dass einige Zeitungen ein so schlechtes Bild über uns verbreiten", meint Rajkovic. Bei kriminellen Banden werde in der Berichterstattung dauernd auf die ethnische Zugehörigkeit hingewiesen. Migranten kämen primär im Zusammenhang mit Überfällen vor. "Wir bestehen nicht nur aus Kriminellen."

Nicht nur Partys

Die Jusstudentin Ivana Grbic ist auch mit anderen Klischees nicht einverstanden: "Zurzeit zeigt sich nicht die serbische Kultur. Alle verbinden sie nur mit der Ottakringer Straße." Wegen der vielen serbischen Lokale ist die Straße als Balkanmeile verschrien. "Die hat den negativen Beigeschmack von Trinken, Partys und Clubs. Die serbische Kultur ist nicht nur Party", meint sie. Wie Tanja Rajkovic und Suzana Živković ist auch sie in Österreich groß geworden und begann sich aus eigenem Antrieb mit den Wurzeln zu beschäftigen, die zufällige Bekanntschaft mit Studenten aus dem Balkan spielte eine Rolle.

Auch wenn Rajkovic meint, die Klischees hätten abgenommen, sind viele mit ihrem Image nicht zufrieden. "Serben gelten als korrupt", meint Ivana Grbic: Immerhin, der ÖSG-Jugendbeauftragte Alexander Stijakovic räumt ein, dass es auch positives Klischee gebe: "Alle sagen: Ihr habt die schönsten Frauen . . ."

Nicht alle Verallgemeinerungen müssen gleich falsch sein. Gefragt nach den Mentalitätsunterschieden zur österreichischen Mehrheitsbevölkerung fallen bei Serben sofort ein paar Stichworte: Serben sind temperamentvoller, lebensfroher, offener, weniger distanziert. Man trifft sich mit Freunden nicht nur auf einen Kaffee, sondern lädt sie gleich zu sich nach Hause ein, wo sie übernachten. "Die Wohnung wird zum offenen Hause", meint Rajkovic. "Die Österreicher sind dafür besser organisiert und konsequenter", findet Ivana Grbic.

Aufgrund ihrer Mentalität und Lebenskultur empfinden Jugendliche mit Wurzeln am Balkan in Österreich viel stärker die Gemeinsamkeiten als die Unterschiede. Die Zeiten, als die Konflikte während des Kriegs in Ex-Jugoslawien auch auf heimische Schulen überschwappten, sind vorbei. "Von unserem Temperament kommt die Verbundenheit", meint Tanja Rajkovic. "Wir sind Brüder und Schwestern. Man fühlt sich verbundener."

Auch andere Klischees sind nicht ganz falsch, etwa dass viele in Österreich Turbofolk hören, eine nicht sonderlich anspruchsvolle Mischung aus Schlager und Popmusik. Die serbische Turbo-Folk-Sängerin Ceca erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit. Sie war mit dem getöteten, mutmaßlichen Kriegsverbrecher Željko Ražnatović verheiratet, dem der Internationale Strafgerichtshof Völkermord von Nichtserben aus Teilen Bosnien-Herzegowinas zur Last legt. "Ceca ist eine Ikone wie Whitney Houston und total beliebt", meint Rajkovic. "Nach außen bezieht sie nicht politisch Stellung." Die serbische Community ist deutlich schlechter organisiert als die türkische. Einige Jugendliche sind in Tanzvereinen aktiv, die sich serbischer Volksmusik widmen.

Ein großes Ereignis hat die ÖSG für den 12. Oktober geplant. Es ist der "Tag der Österreichisch-Serbischen Freundschaft", basierend auf dem Toleranzpapier von Josef II., das den Serben zahlreiche Privilegien in der Donaumonarchie sicherte. Ein Freundschaftskonzert ist für den Tag geplant. Auf die Idee kam man aufgrund der Tatsache, dass 200 serbische Studenten am Wiener Musikkonservatorium studieren und bisher keine Gelegenheit hatten, ihr Können einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Nun laden sie musizierende Freunde aus allen Nationen zum Konzert ein. "Es soll ein internationales Ereignis werden", betont Alexander Stijakovic.