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Mehr als nur Kebabstände

Von Momcilo Nikolic

Politik
640 Millionen Euro erwirtschaften Wiens migrantische Bäcker, Gastronomen und Co.
© Christian Mayr

Viele Unternehmen verdienen lediglich 10.000 Euro im Jahr.


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Wien. Migrantische Unternehmen leisten einen maßgeblichen Beitrag für den Wirtschaftsstandort Wien. Das geht aus einer aktuellen Studie zu "Ethnischen Ökonomien" hervor, die die Wirtschaftsagentur Wien beim Forschungsinstitut Synthesis in Auftrag gegeben hat.

In Wien hat sich innerhalb der vergangenen 30 Jahre die Zahl der selbständigen Unternehmer mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft mehr als verdreifacht: 2011 waren insgesamt 26.200 in Wien lebende Personen mit Migrationshintergrund selbständig tätig, diese sogenannten "ethnischen Ökonomien" sind 37 Prozent der neu gegründeten Wiener Unternehmer. Allein im Jahr 2011 erwirtschafteten diese Unternehmen 640 Millionen Euro. Vizebürgermeisterin und Finanzstadträtin Renate Brauner (SPÖ) weist darauf hin, dass es sich hierbei nicht um "drei oder vier Kebabstände" handelt, sondern die Wertschöpfung für die Stadt in Bezug auf Arbeitgeberbetriebe eine hohe ist; und migrantische Unternehmen insgesamt 20.000 Arbeitsplätze schaffen.

Die meisten Gründungen finden in den Bezirken Favoriten, Ottakring und Rudolfsheim statt, aber auch in den Bezirken Neubau und Leopoldstadt. Die Untersuchung zeigt auch, dass zwar immer noch viele migrantische Unternehmen in Branchen wie Gastronomie, Handel und in der Baubranche tätig sind. Zudem setzen diese immer mehr auf innovative Konzepte und sind vergleichsweise jung: Die Mehrheit der migrantischen Unternehmer ist zwischen 24 und 44 Jahre alt.

Prekäre Verhältnisse für die meisten Unternehmer

Die Studie zeigt aber auch, dass 72 Prozent der migrantischen Unternehmer mit einem Jahreseinkommen von 10.000 Euro wenig verdienen. "Unter diesen Migranten herrschen prekäre Verhältnisse. Diese Unternehmen sind nicht solche, die wir als klassische Unternehmen im Kopf haben. Die Menschen verdienen einen Hungerlohn und bewegen sich am unteren Rand der Armutsschwelle", sagt Wilfried Altzinger, Wirtschaftswissenschafter an der WU Wien und Verfasser der Studie "Intergenerationelle soziale Mobilität in Österreich." Er spricht in diesem Zusammenhang von "Scheinselbständigen."

Brauner führt diesen Umstand auf das "De-Qualifikationsphänomen" zurück. Einerseits sei die Sprache eine der größten Hürden für Migranten, auf der anderen Seite sind es vorherrschende Vorurteile, die zum Problemfall werden könnten: "Es ist auch eine Frage der Anerkennung", sagt sie.

Dem Geschäftsführer der Wirtschaftsagentur Wien Gerhard Hirczi sind die Probleme bewusst. "Es handelt sich um ein branchenspezifisches Problem (Anm.: Top-Branchen der selbständigen Migranten: Gastronomie, Handel, Bau). Inwieweit Neugründungen erfolgreich sind, und wie die Fluktuation ist, ist statistisch noch nicht belegt. Die Erfassung dieser Daten ist der nächste notwendige Schritt, den man angehen muss", sagt er.

Die meisten selbständig tätigen Migranten in Wien stammen aus der Slowakei, Polen und dem ehemaligen Jugoslawien. Hirczi sieht dort strukturelle Nachteile wie Sprache und schwächere Kapitalmöglichkeiten, denen man entgegenwirken muss. "Viele Migranten legen den Fokus auf das Produkt. Deren Unternehmensschwächen zeigen sich dann aber bei der Logistik, der Zielgruppe und dem Markt. Hier helfen wir."

Die nächste Starthilfe soll es im November geben. Dann bietet die Wirtschaftsagentur Wien Gründungsworkshops in Kooperation mit den Wiener Volkshochschulen in Ottakring in 14 verschiedenen Sprachen an.