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Mehr als nur Schall und Rauch

Von Edwin Baumgartner

Wissen
Komm jetzt, Lanzelot: Antiquierte und sagenumwobene Namen haben wieder Hochkonjunktur - im Bild Ritter Lanzelot aus der Artus-Legende, gemalt von Thomas MacKenzie, ca. 1900.
© PoodlesRock/Corbis

Über die Bedeutung von Namen und ihre (häufig) nicht korrekte Aussprache.


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"Der Papa wartet, komm jetzt, Lanzelot." Der etwa achtjährige Junge folgt, und noch ehe es in mein Bewusstsein dringt, dass Lanzelot tatsächlich aussieht, wie man sich Lanzelot vorstellt, also blond mit strahlenden blauen Augen, lässt er sich von seiner Mutter an der Hand nehmen und aus der Spielwarenabteilung des Münchner Karstadt hinausführen.

Wie kann man ein Kind nur "Lanzelot" nennen? - Die Mutter hätte ich auf unter 30 geschätzt, auffallend hübsch, sehr elegant, nicht die Ausstrahlung einer Spinnerin. Dennoch: Lanzelot. . .

Andererseits: Warum nicht? Die alten Namen kehren im deutschen Sprachraum langsam zurück - auch biblische Namen. Daniel etwa oder Adam, vor kurzer Zeit noch eine Seltenheit, ist heute so gebräuchlich wie Ruth, Esther oder Sarah, Namen die vor wenigen Jahren nur jüdische Frauen trugen.

Die Herkunft der Namen

Joseph Goebbels, Propagandaminister des sogenannten Dritten Reichs, entblödete sich etwa, die Schauspielerin und Sängerin Zarah Leander zu fragen: "Zarah - das ist doch ein jüdischer Name?" Worauf die nicht jüdische Schauspielerin antwortete: "Ja, genauso wie Joseph."

Nur - wer denkt daran heute noch, dass Namen wie Gabriel, Jakob, Johannes, Lukas, Markus, Michael oder Simon jüdischer Herkunft sind? Durch die griechischen Schriften der Bibel sind sie längst als christlich ausgewiesen, obwohl sie ihre Ursprünge im Judentum haben.

Doch was bedeutet schon ein Name? - "Name ist Schall und Rauch", sagt Goethes Faust in einem der am häufigsten missverstandenen Zitate. Denn der Doktor spricht nicht vom Namen eines Menschen, sondern vom Namen Gottes. Und mit dem hat es so seine eigene Bewandtnis.

Er lautet Jehova oder Jahwe, je nachdem, wie die hebräische Konsonantenschrift vokalisiert wird. Der Name steht, JHWH geschrieben, eindeutig in der Bibel - und zwar an die 7000 Mal. Und nun schnell die eigene Bibel aufgeschlagen und nachgezählt, wie oft er in ihr vorkommt.

Oder nein: Das ergebnislose Blättern wäre zu frustrierend. Daher bitte zwecks Stichprobe das Erste Buch Mose aufschlagen, Kapitel 2, Vers 5 - und da steht mit ziemlicher Sicherheit "Gott der Herr" oder etwas Ähnliches.

Obwohl nämlich das Aussprechen des Gottesnamens durch die Bibel eindeutig legitimiert ist, beugen sich die meisten christlichen Religionen dem Namensverbot der Juden, das auf eine extreme Auslegung des Gebots zurückgeht: "Du sollst den Namen Jehovas, deines Gottes, nicht in unwürdiger Weise gebrauchen."

Dahinter steckt die Überlegung: Damit ja kein unwürdiger Gebrauch stattfinden kann, findet gleich gar kein Gebrauch statt. Der namentlich anrufbare, menschennahe Gott rückt so jedoch in die weite Ferne einer unnahbaren, nur durch einen Titel ansprechbaren Majestät. Heute gebrauchen nur die Mormonen fallweise und Jehovas Zeugen konsequent den biblisch legitimierten Gottesnamen, während Papst Benedikt am 29. Juni 2008 mit einer Anweisung an alle Bischofskonferenzen verfügt hat, den Gottesnamen nicht mehr in Liturgie, Gebeten oder Kirchenliedern zu verwenden.

Allein das zeigt schon, dass ein Name etwas Besonderes sein muss - doch worin besteht dieses Besondere eigentlich? Ein Name ist die spontanste und engste Verbindung zu seinem Träger. Die Aussprache des Namens zwischen Liebenden ist eine Form der Vertrautheit, der Zärtlichkeit. Erst später kommen dann die Kosenamen - Namen auch sie - hinzu. Es ist kein Zufall, dass Rainer Maria Rilke in "Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke" schreibt: "Sie haben sich ja gefunden, um einander ein neues Geschlecht zu sein. Sie werden sich hundert neue Namen geben und einander alle wieder abnehmen, leise, wie man einen Ohrring abnimmt."

Aber in Sagen und Mythen hat der Name magische Kraft, die Aussprache des Namens kann nämlich auch bannen. Daher gebietet in Wolfram von Eschenbach "Parzival"-Epos der Gralsritter Lohengrin seiner Frau Elsa, sie dürfe ihn nie nach seinem Namen fragen; als sie die Frage dennoch stellt, muss der Gralsritter sie verlassen.

In der Literatur hat der Name - oder seine Verweigerung - ebenfalls bisweilen höchste Bedeutung. Jules Verne etwa nennt den Kapitän des U-Boots "Nautilus" Nemo, was lateinisch abgeleitet "niemand" bedeutet und griechisch abgeleitet "ich gebe, was fällig ist": eine gezielte Mystifizierung der Person, die sich dadurch, trotz genauer Beschreibung von Physiognomie und Charakter, der Greifbarkeit, auch der Angreifbarkeit, entzieht.

Tücken der Transkription

In Henry James‘ psychologischer Gespenstergeschichte "Die Drehung der Schraube" wiederum weicht der Geist in dem Moment von dem Buben, den er in Besitz nehmen will, als dieser seinen Namen ausspricht: "Peter Quint." Der amerikanische Autor Howard Phillips Lovecraft hingegen wird nicht müde zu versichern, die Dämonengötter seines Universums der Schrecken hätten unaussprechliche Namen, doch irgendjemand spricht sie doch aus, und die Folgen davon kennt schon ein altes bayerisches Sprichwort: "Wie man den Teufel nennt, kommt er g‘rennt."

Wobei die Aussprache der Dämonennamen Lovecrafts noch halbwegs einfach ist im Vergleich zur korrekten Aussprache ganz menschlicher Namen in den diversen Sprachen, denn bei Namen hat sich im Deutschen eingebürgert, der originalen Aussprache so nahe wie möglich zu kommen.

Während die Franzosen etwa den Komponisten des oben genannten "Lohengrin" ohne mit der Wimper zu zucken "Rischahr Wagnähr" sprechen, bemüht sich der Deutsche oder Österreicher um einen dunkel gefärbten und damit möglichst russisch klingenden Módest Mussórgski" - und liegt schon falsch, weil der Name des Komponisten des "Boris Godunow" (sprich: Barís Gadunów") korrekt vielleicht dunkel gefärbt , vor allem aber Madjést Músargski klingt.

Nebenbei: Beim Schreiben russischer Namen sollte man darauf achten, ja kein "-ky" sondern "-ki" zu verwenden, denn die einzige Regel der russischen Sprache, die keine einzige Ausnahme hat, besagt, dass auf "k" und "sch" niemals "y", sondern stets "i" folgt. (Doch, es gibt eine zweite ausnahmenlose Regel: Die Silbe "jo" ist immer betont.)

Dass die Russen ihrerseits keinen Genierer haben, Namen aus anderen Sprachen phonetisch zu transkribieren, führt, transkribiert man die Transkription, zu den köstlichsten Ratespielen. "Klod Debjussi" ist dabei noch halbwegs klar, doch dass sich hinter "Schan Pol" der Dichter Jean Paul verbirgt, bedarf doch kurzen Nachsinnens. Aber Russisch ist immer ein Problem, speziell, weil die Betonung fast so viele Ausnahmen wie Regeln hat.

Phonetische Fehlleistungen

Es kommt auch vor, dass eine korrekte Schreibung für Verwirrung sorgt. Speziell als Österreicher weiß man aus langjähriger nachbarschaftlicher Verbundenheit, dass tschechische Wörter und damit tschechische Namen immer und ausnahmslos auf der ersten Silbe betont werden. Und doch hört man immer häufiger, der Name des Komponisten der Oper "Jenůfa" sei "Léosch Janátschek", weil er sich "Janáček" schreibt. Der tschechische Akzent, der hier über dem "a" sitzt, ist allerdings kein Betonungsakzent, sondern ein Verlängerungszeichen. Die korrekte Aussprache ist also "Jánahtschek".

Mitunter tun sich aber selbst Muttersprachler schwer. Der französische Komponist Jean Françaix etwa wird regelkonform (siehe Aix-en-Provence) von den meisten Franzosen und jenen, die es ihnen nachmachen "Fransäx" gesprochen - nur von ihm selbst nicht: Er sprach sich "Fransä".

Das größte Problem aber hatten selbst englischsprachige Bestseller-Fans, wenn sie nach Romanen des "Jurassic Park"-Autors fragten, denn wie spricht sich Michael Crichton korrekt aus? Der "Meikl" ist klar, aber dann? "Kriktn" oder "Kritschtn"? - Beides von Engländern und Amerikanern gehört, beides falsch. "Kreitn" hieß der Mann - viel Vergnügen, wenn Sie seine Bücher mit korrekter Aussprache in der Buchhandlung verlangen, die fragenden Blicke sind garantiert.

Fast so viele, wie wenn man sein Kind Lanzelot nennt. Wobei der Junge noch Glück gehabt hat, immerhin gibt es im gleichen Sagenkreis auch einen Feirefiz.