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Mehr als nur tanzen und betteln

Von Jerome Segal

Politik
Mit der Kampagne "Open your Eyes" wollen die Teilnehmer auf der Mariahilfer Straße auf die Situation der Roma in ganz Europa aufmerksam machen.
© Jerome Segal

Bis Sonntag treffen sich 70 Roma-Vertreter aus der ganzen Welt in Wien, um über Antiziganismus zu konferieren.


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Wien. Ungewohnt war das Bild am Donnerstagvormittag auf der Mariahilfer Straße. 50 junge Männer und Frauen haben sich dort versammelt und hielten ein Plakat in die Höhe: "Erwarten Sie von mir nur, dass ich tanze, singe und bettle? Ich kann noch mehr!" Die 50 jungen Männer und Frauen sind Roma. Sie haben ein Anliegen. Eine Woche lang wollen sie in Wien auf die Lage ihrer Volksgruppe hinweisen. Mit Flashmobs, Tagungen und einer sechstägigen Konferenz.

Der Wiener Verein Romano-Centro, der sich auf Sozialarbeit für und gemeinsam mit Roma spezialisiert hat, veranstaltet bis 16. November einen internationalen Gedankenaustausch über rassistische Vorurteile und hat dazu über 70 Aktivisten aus elf Ländern eingeladen. Schwerpunkt: Antiziganismus.

Das Klischee der Bettler

Schon vergangenes Jahr hat das Romano-Centro zusammen mit dem Verein Zara den ersten Bericht "Antiziganismus in Österreich" veröffentlicht - die "Wiener Zeitung" hat berichtet. Der Flashmob auf der Mariahilfer Straße wurde von den Workshopteilnehmern getragen. Das Bewusstsein der Bevölkerung für die Probleme der Roma sollte geschärft werden, daher auch der Titel dieser Tagung: "Open your Eyes" ("Putren le jakha" auf Romanes). Die Teilnehmer der Konferenz stammen aus Albanien, Bulgarien, Deutschland, Mazedonien, Polen, Rumänien, Serbien, Spanien, Tschechien, Ungarn und Österreich.

Konkret geht es bei der Tagung darum, Vorurteile abzubauen, einen praktikablen Verhaltenskodex zu definieren, aber auch andere dazu zu animieren, aktiv zu werden. Während der Konferenz sollen auch Grundlagen im Umgang mit den Medien vermittelt werden . Wie etwa wird eine Pressemeldung verfasst, eine Gegendarstellung urgiert und, wie können die Medien als Kommunikationstool in der eigenen Sache genutzt werden.

Es wurde wiederholt betont, dass Diskriminierungen, Vorurteile und Klischees häufig den Alltag der Roma prägen, wobei die Medien in deren Verbreitung eine wichtige Rolle spielen. In österreichischen Printmedien etwa dominiert das Bild von den "Bettlern und Dieben" und viele Journalisten verabsäumen es, diese Klischees zu hinterfragen. "Diese und ähnliche Bilder führen leider zu einer steigenden Ablehnung", betont Samuel Mago, ein junger Student an der Universität Wien, der diese Konferenz mit Ferdinand Koller organisiert hat.

Keine Ausreisegenehmigung

Einer der Teilnehmer ist Jozef Milger. Er kommt aus der Kleinstadt Krupka im Norden Tschechiens und engagiert sich seit über 20 Jahren für die Rechte der Roma in seinem Land, gegen die Neonazi-Aufmärsche in seiner Stadt, in denen die Gewalt gegen Roma weiter geschürt wird. Sein wichtigsten Anliegen ist derzeit die Forderung nach dem Abriss einer EU-geförderten Schweinemastanlage, die in Lety, 75 Kilometer südlich von Prag genau auf dem Gelände eines ehemaligen Roma-Konzentrationslagers gebaut wurde. Noch im August dieses Jahres leugnete in diesem Zusammenhang ein tschechischer Parlamentsabgeordneter, dass es sich um ein KZ handelte. Er meinte wörtlich, es sei nur ein Lager für "arbeitsscheue Personen" gewesen.

Der 25. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer wurde zum Anlass genommen, um unter anderem die Lage der Roma in Mazedonien zu erläutern. Ein rassistisch anmutendes Einstufungsverfahren hindert dort die Roma als einzige Bevölkerungsgruppe an einer Ausreise in die nördlichen Nachbarländer, während die EU in einem Abkommen mit Mazedonien eine Austauschagenda in Fragen der bilateralen Handelsbeziehungen ratifiziert hat.

Viele Teilnehmer der Tagung erinnerten sich an jene Worte des deutschen Literaturnobelpreisträgers Günter Grass aus seiner Ansprache an das europäische Parlament vor drei Jahren. So könnten uns die Roma in vielerlei Hinsicht als Vorbild dienen. Sie seien nicht Verfechter eines wie auch immer gearteten Nationalismus und erheben keinen Anspruch auf Gebiete, obwohl sie die weitaus größte Minderheit Europas darstellen. Grass weiter: "Die Roma sind, was wir versuchen zu sein, echte Europäer."