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Mehr arbeiten für gleichen Lohn?

Von Sissi Eigruber

Wirtschaft

DaimlerChrysler lässt in der Entwicklung und Planung im Werk Sindelfingen 40 Wochenstunden arbeiten, auch Siemens überlegt derartige Maßnahmen, und in einigen deutschen Bundesländern müssen Beamte künftig 42 Stunden pro Woche arbeiten. Nun wird auch in Österrreich über eine Änderung der Arbeitszeiten nachgedacht. Die "Wiener Zeitung" hat die Interessensvertretungen, Experten und Betroffene zu ihrer Meinung befragt:


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Verfechter von längeren Arbeitszeiten (bei gleichem Lohn) argumentieren mit sinkenden Lohnstückkosten, besserer Wettbewerbsfähigkeit und der Sicherung von Arbeitsplätzen - Gegner befürchten eine Ausbeutung der Arbeitnehmer und den Verlust von Arbeitsplätzen.

Doch weder in die eine noch in die andere Richtung würde es einen deutlichen Effekt geben, meint dazu Helmut Hofer, Arbeitsmarktexperte des Institus für Höhere Studien (IHS). Sinnvoller wäre es vielmehr, die Arbeitszeiten flexibler zu gestalten, damit die Betriebe besser auf Änderungen in der Auftragslage reagieren können. Das würde auch die Wettbewerbsfähigkeit steigern. Möglichkeiten dazu würden etwa längere Durchrechnungszeiträume bei den Arbeitszeiten (damit je nach Auftragslage mehr oder weniger Stunden gearbeitet wird) oder die Einrichtung von Jahresarbeitszeitkonten bieten. Bei einer reinen Ausweitung der Arbeitsstunden bestehe zudem die Gefahr, dass die Mitarbeiter demotiviert werden. Dann würden sie zwar länger arbeiten, aber nicht mehr leisten.

Arbeitsmarktexpertin Hedwig Lutz vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) argumentiert ähnlich: "Ich glaube, dass die Unternehmen mehr Flexibilität brauchen, aber ob eine allgemeine Arbeitszeitverlängerung hilft, ist fraglich, denn wir werden es ohnehin nicht schaffen in punkto Lohnkosten mit den Ostländern mitzuhalten", so Lutz. Längere Arbeit bei gleichem Lohn würde zwar die Stundenkosten verringern, aber nicht automatisch den Absatz vergrößern. Wenn weiterhin gleich viel erzeugt wird, bedeutet dies, dass dasselbe Arbeitsvolumen von weniger Menschen erbracht werden kann - damit käme es zu einem Abbau von Arbeitsplätzen. Entscheidend sei also, dass der Absatz steigen müsste, betont Lutz.

Den Expertenmeinungen zum Trotz hat sich in Österreich nicht nur der Vizepräsident der Salzburger Wirtschaftskammer, Helmut Haigermoser (F) für die Wiedereinführung der 40-Stunden-Woche ausgesprochen, auch Böhler-Uddeholm-Chef Claus Raidl - der auch die ÖVP in wirtschaftspolitischen Fragen berät - kann der Idee etwas abgewinnen: "Die Normalwochenarbeitszeit von 38,5 auf 40 Stunden erhöhen", darüber will er zumindest diskutieren, erklärt Raidl gegenüber der "Wiener Zeitung". Weiters könnte man überlegen, "die zwei katholischen Donnerstag-Feiertage" (Christi Himmelfahrt und Fronleichnam) auf den Freitag zu verschieben. Dass eine Erhöhung der Arbeitszeit zum Abbau von Stellen führen würde, stimme nicht, meint Raidl, denn es sei sehr wohl eine steigende Nachfrage zu erwarten. "Der Osten wird eine enorme Nachfrage auslösen - zum Beispiel nach Autos, Kühlschränken und Bauleistung", ist Raidl überzeugt.

Bei den Interessensvertretungen Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer will man sich den Forderungen von Raidl in dieser Form nicht anschließen. "Bei uns steht nicht die Arbeitszeitverlängerung im Vordergrund, sondern die Flexibilität", erklärt Sozialpolitik-Experte Franz Dungl von der Industriellenvereinigung (IV). Grundlegende Änderungen im Bereich der Arbeitszeiten müssten auf jeden Fall in sozialpartnerschaftlicher Absprache getroffen werden, betont er. Schon jetzt seien in vielen Kollektivverträgen längere Durchrechnungszeiträume für die Wochenarbeitszeit vereinbart. Nun sollten derartige Regelungen auch auf betrieblicher Ebene getroffen werden können. Allerdings bestehe dann die Gefahr, dass ein schwacher Betriebsrat Regelungen akzeptiert, die die Arbeitnehmer nicht wollen, fügt Dungl hinzu.

Reinhold Mitterlehner, Generalsekretär-Stellvertreter der Österreichischen Wirtschaftskammer (WKÖ), betont, dass das Arbeitszeitengesetz in Österreich ohnehin eine 40-Stunden-Woche vorsieht, nur wurde in den Kollektivverträgen durchschnittlich eine Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden vereinbart. In Deutschland seien es im Schnitt 37,8 Stunden. Eine weitere Erhöhung wäre kontraproduktiv, da dies höchstens zu "Dienst nach Vorschrift" führen würde.

Die WKÖ fordert drei Dinge: 1.) Längere Durchrechnungszeiträume sollten nicht nur in den Kollektivverträgen, sondern auch ausschließlich auf betrieblicher Ebene vereinbart werden können. 2.) Die tägliche Höchstarbeitszeit sollte von 10 auf 12 Stunden erhöht werden. 3.) Die Normalarbeitszeit müsse von 9 auf 10 Stunden steigen. Ein entsprechendes Positionspapier sei der Gewerkschaft überreicht worden. Möglicherweise werde auch die Regierung bald einen entsprechenden Gesetzesentwurf präsentieren. Strikt gegen längere Arbeitszeiten sind jedenfalls die Arbeiterkammer (AK) und der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB), denn dies würde zu mehr Arbeitslosen führen. Um die Konjunktur anzukurbeln und den Standort zu sichern, sollte vielmehr in Infrastruktur investiert und die Lohn- und Einkommenssteuer gesenkt werden, meint Richard Leutner, Leitender Sekretär des ÖGB.

Inzwischen wird auch auf EU-Ebene über die Arbeitszeitrichtlinien diskutiert. Die EU-Kommission will drei Bereiche reformieren: Erstens den Durchrechnungszeitraum, zweitens die Behandlung von Zeiten in denen Arbeitnehmer auf Abruf stehen, und drittens soll die "opt out"-Klausel eingeschränkt werden. Gemäß dieser Klausel kann im Einverständnis mit den Arbeitnehmern die maximal zulässige wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden über bestimmte Zeit hinweg ausgeweitet werden.