Zum Hauptinhalt springen

Mehr Bus auf Schiene

Von Alexander Dworzak

Wirtschaft

Mit der Liberalisierung des Busmarktes in Deutschland stehen die Anbieter im harten Verdrängungswettbewerb. Sie locken mit Diskontpreisen eine junge Klientel - die auch in Österreich beherzt zugreift.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

München/Wien. Senioren von vorne bis hinten auf den Plätzen, geführte Touren mit betagten Guides, Autos, die ihre beste Zeit hinter sich haben, ranzige Terminals. Busreisen hatten lange ein miserables Image. Ihre Zeit schien abgelaufen, erst recht, nachdem Billig-Airlines Flüge zu Schnäppchenpreisen anboten und die Bahn Konkurrenz auf der Schiene bekam. Der Abgesang war aber verfrüht, wenn man dieser Tage etwa in Wien auf die Fernbushaltestellen beim Westbahnhof, in Erdberg oder beim Ernst-Happel-Stadion blickt. Dort tummeln sich vor allem Junge mit ihren Trolleys und Taschen. Sie steigen in moderne Luxuskarossen mit WLAN und anderen Annehmlichkeiten. Und das alles gibt es zum Diskontpreis.

Möglich gemacht hat das die Liberalisierung des Fernbusverkehrs, allen voran in Deutschland. Mehr als 70 Jahre lang galten strenge Regelungen, um die Bahn vor Konkurrenz zu schützen. Anfang 2013 fielen die Restriktionen. Seitdem hat sich die Anzahl der innerdeutschen Fernbusverbindungen mehr als vervierfacht; von 62 Linien im Jänner 2013 auf 261 im Jänner 2015. Auch mehrere österreichische Destinationen werden angefahren, darunter Wien, Graz, Linz und Innsbruck. Innerösterreichisch wird etwa die Strecke Wien-Graz sechsmal täglich bedient. Und nicht nur in Deutschland wurde der Busmarkt freigegeben. In Tschechien mischt Student Agency den Markt auf, und die Flotte von PolskiBus rollt weit über die Grenzen Polens hinaus. In Frankreich wird der Markt diesen Herbst geöffnet.

Zeit spielt keine Rolle

Wer rechtzeitig bucht, düst beispielsweise um 19 Euro von Wien nach München - damit um 10 Euro günstiger als mit der ÖBB-Sparschiene. Dafür ist allerdings eine deutlich längere Fahrzeit in Kauf zu nehmen. Wenn der Railjet nach vier Stunden in der bayrischen Hauptstadt eintrifft, haben die Buspassagiere noch 80 Minuten Fahrt vor sich. In die zweitgrößte tschechische Stadt Brünn kommt man von Wien aus bereits ab 8 Euro, das ist um einen Euro günstiger als mit dem Sparschiene-Ticket. Statt eineinhalb Stunden mit dem Zug dauert die Busreise 20 Minuten länger. Die längere Fahrzeit ist für Buskunden aber ohnehin sekundär: "92 Prozent kaufen ein Busticket, weil es günstiger als eine Zugkarte ist", sagt Christoph Gipp, Bereichsleiter Mobilität beim Berliner Beratungsinstitut Iges, zur "Wiener Zeitung".

Deutsche Bahn denkt um

Der Fahrgäste finanzielle Freud ist des Managements Leid. Wie bei den Billigfliegern in den Nullerjahren hat auch bei den Bussen ein beinharter Verdrängungswettbewerb eingesetzt. In Deutschland haben sich mittlerweile zwei große Player herauskristallisiert. Der Marktführer, das Berliner Unternehmen MeinFernbus, und der Münchner Konkurrent FlixBus halten gemeinsam fast 75 Prozent Marktanteil. Anfang Jänner kündigten die beiden ihre Fusion an.

Einspruch durch das Bundeskartellamt erwarten sie nicht: Die Busunternehmen argumentieren, dass MeinFernbus im vergangenen Jahr 7,2 Millionen Fahrgäste beförderte und FlixBus weitere 3,5 Millionen. Die Deutsche Bahn hingegen kam im Jahr 2013 auf 130 Millionen Fahrgäste. Insofern decken die Busse nur einen kleinen Teil des Fernverkehrsmarktes ab. Auch Experten gehen davon aus, dass der Zusammenschluss mit dem sperrigen Namen MeinFernbus FlixBus genehmigt wird.

Die Fusion ruft spät, aber doch die Führungsriege der Deutschen Bahn auf den Plan. Sie ist gleich durch zwei Unternehmen - IC Bus und Berlin Linien Bus - im Busmarkt vertreten. Doch das Engagement kochte bisher auf Sparflamme, die Bahn wollte den ruinösen Preiskampf nicht mitmachen. Das ist einerseits nachvollziehbar, andererseits entgingen der Deutschen Bahn durch die Fernbusse allein im Jahr 2013 rund 120 Millionen Euro an Umsatz. Trotz 39,3 Milliarden Euro Gesamtumsatz und 2,7 Milliarden Euro Gewinn wächst die Sorge, dass junge Kundschaft der Bahn dauerhaft den Rücken kehren könnte. Am Montag wird daher Bahn-Personenverkehrsvorstand Ulrich Homburg das lange erwartete Fernbus-Konzept vorstellen. Laut "Handelsblatt" will der Konzern seinen Marktanteil in den nächsten Jahren "mindestens verdoppeln". Derzeit dümpeln IC Bus und Berlin Linien Bus gemeinsam bei neun Prozent Marktanteil.

US-Investor beteiligt

Lässt sich die Bahn tatsächlich auf den Konkurrenzkampf mit MeinFernbus FlixBus ein, nimmt sie damit spürbare Verluste in naher Zukunft in Kauf. Doch was wäre ein tragfähiges wirtschaftliches Konzept? "Betrachtet man den Gesamtmarkt, ist die Deutsche Bahn noch immer Marktführer im Fernverkehr. Sie kann die Stärken des Schienenverkehrs mit dem Busverkehr verknüpfen und Reiseketten organisieren, was der reinen Buskonkurrenz derzeit nicht möglich ist. Und die Deutsche Bahn verfügt über ein exzellentes Vertriebssystem", sagt Mobilitätsforscher Gipp.

Offen ist, ob die Bahn ihre Strategie auf die Metropolen ausrichtet, um dort verlorenes Terrain zurückzugewinnen, oder kleine und mittlere Städte verknüpft. Gipp plädiert für einen "vernünftigen Mix aus beidem". FlixBus reüssiere nämlich nicht nur zwischen Großstädten, sondern auch bei sogenannten B-Relationen. Denn dort ist das Zugangebot im Fernverkehr stark ausgedünnt.

Bei MeinFernbus FlixBus gibt man sich auf Anfrage der "Wiener Zeitung" gelassen: "Die Offensive der Deutschen Bahn macht uns keine Angst. Wir haben schon in der Vergangenheit bewiesen, wie schnell wir wachsen können", sagt eine Sprecherin. Derzeit besteht die Flotte aus rund 600 Fahrzeugen, Ende des Jahres sollen es bereits 1000 sein. "Wir haben 170 mittelständische Busunternehmen als Partner, darunter aus Österreich Dr. Richard und Blaguss", präzisiert Gregor Hintz, Leiter der Kommunikationsabteilung von MeinFernbus FlixBus.

Mit Mittelständlern allein wäre ein derart rasanter Wachstumskurs aber nicht möglich. MeinFernbus soll Insidern zufolge 2014 nur 1 bis 2 Millionen Euro Gewinn gemacht haben - bei 100 Millionen Euro Umsatz. Im Zuge des Zusammenschlusses mit FlixBus fand eine Kapitalerhöhung statt, die im Wesentlichen von der US-Beteiligungsgesellschaft General Atlantic bestritten wurde, berichtet der "Spiegel". Über die Höhe der Beteiligung schweigt man sich bei MeinFernbus FlixBus aus. Das Hamburger Magazin schreibt, General Atlantic sichere sich in der Regel eine Sperrminorität, also 25 Prozent. Nachdem Beteiligungsfirmen ihre Anteile früher oder später gewinnbringend veräußern, sei der Weg des Fernbuskonzerns also vorgezeichnet: der Gang an die Börse.

Wien als Südosteuropa-Hub?

Derzeit endet das Netz von MeinFernbus FlixBus im Norden im schwedischen Malmö, im Süden in Mailand, im Westen in Amsterdam und im Osten in Budapest. "Wir denken europaweit, wollen nichts ausschließen", gibt sich MeinFernbus FlixBus vage. Konkret wird Mobilitätsforscher Gipp: "Wien ist ein sehr interessanter Standort, um die südosteuropäischen Märkte anzugehen, die sehr starke Busmärkte sind." In den ehemaligen Staaten Jugoslawiens spielt die Bahn nur noch eine Nebenrolle. Momentan steuert der deutsche Marktführer jedoch lediglich die slowenische Hauptstadt Ljubljana und die kroatische Metropole Zagreb an. Expansionsmöglichkeiten gäbe es am Balkan somit zuhauf.