Gerade in einer wirtschaftlich schwierigen Situation besteht die Gefahr, dass die demokratischen Usancen und Grundrechte ausgehebelt werden.
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Anfang August empfahl Mario Monti, seines Zeichens Ministerpräsident in Italien, den Regierungen die "Erziehung" ihrer Parlamente. Die Regierungen sollten sich nicht allzu sehr in ihren Entscheidungen von den Parlamenten binden lassen, empfahl Monti, der, nur nebenbei bemerkt, ohne die Bevölkerung in einem Wahlkampf überzeugen zu müssen seinen Posten als Ministerpräsident erlangte. Ziel dieser "Erziehung" der Parlamente sei "Unruhe an den Märkten" zu verhindern.
Auch wenn Monti inzwischen seine Äußerungen "präzisiert" hat, so stellt sich doch die Frage, wie viel Demokratie Europa benötigt. Interessant ist auch der Zusammenhang, in dem die Äußerungen getätigt wurden, warnt Monti doch dezidiert vor einem "Auseinanderbrechen Europas" und setzte so die demokratischen Rechte der nationalen Parlamente in einen direkten Zusammenhang mit dem vermeintlichen Scheitern Europas.
Dieser Sichtweise gilt es vehement zu widersprechen: Eine Gefahr für Europa stellt nicht zu viel, sondern zu wenig Demokratie dar. Gerade in einer wirtschaftlich schwierigen Situation besteht die Gefahr, dass durch die Schaffung scheinbar alternativenloser Szenarien die demokratischen Usancen und Grundrechte ausgehebelt werden. Dass durch eindimensionale Betrachtungsweisen mögliche alternative Wege verborgen bleiben. Dass wesentliche Interessen, die in den Parlamenten repräsentiert sind, keine Beachtung finden.
Insofern gilt es - bei aller Dringlichkeit bestimmter Beschlüsse - die Errungenschaften europäischer Demokratien zu bewahren und zu verteidigen und jenen, die bereits von Entdemokratisierung oder Postdemokratie sprechen, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Europa darf nicht den Anschluss an die Bevölkerung verlieren und zu einem "Elitenprojekt" werden. Der Kontakt und die Einbindung der Bevölkerung und somit die Legitimation des europäischen Projekts laufen über die Parlamente.
Österreich ist daher von Beginn an den Weg der konsequenten Einbindung des Parlaments gegangen. Im Zuge der Ratifizierung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) hat sich das Parlament nochmals umfassende Mitwirkungsrechte und Kontrollmöglichkeiten über die Tätigkeit des ESM gesichert. Der ESM ist ein gemeinsames Kriseninstrumentarium der Euro-Länder zur raschen Stabilisierung des gemeinsamen Währungsraums und soll die Zahlungsfähigkeit der Staaten der Eurozone sichern.
Die Finanzministerin, die Österreich beim ESM vertritt, ist dabei in sämtlichen wichtigen Fragen an die Entscheidung des Parlaments gebunden. In diesem Sinne hat Österreich bereits das umgesetzt, was Monti nach seinen umstrittenen Aussagen und heftiger Kritik aus Deutschland in einer Kehrtwende betonte: nämlich, dass für den Weg der europäischen Integration "ein ständiger und systematischer Dialog zwischen Regierung und Parlament" vonnöten ist.