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Mutige Reformen und direkte Demokratie passen nicht sehr gut zusammen. Mehr Demokratie muss daher nicht immer zu günstigen Ergebnissen führen.
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Seit der britische Premier David Cameron angekündigt hat, sein Volk werde über den weiteren Verbleib in der EU abstimmen können, geht ein greller Aufschrei der Empörung durch Europas politische Eliten, gerade so, als hätte er angekündigt, die Demokratie abzuschaffen und das Parlamentsgebäude in eine Hochgarage umbauen zu wollen.
Das ist insofern einigermaßen bemerkenswert, als Camerons angekündigtes "in-or-out"-Plebiszit zwar zweifellos nicht gerade sehr im Sinne der EU-Institutionen, aber dafür doch ganz zweifellos durch und durch demokratisch ist. Es entbehrt daher nicht einer gewissen Delikatesse, wenn in Europa die gleichen Politiker, die sonst bei jeder Gelegenheit mit ernster Mine "mehr Demokratie" einmahnen, sofort ganz empört tun, sobald einer der Ihren tatsächlich "mehr Demokratie" riskiert. Wir lernen also, dass "mehr Demokratie" höchst wünschenswert ist, solange nicht die Gefahr besteht, das Volk könnte anders stimmen, als es die politischen Eliten - und sei es auch mit gutem Grund - wollen.
Dass der demokratische Prozess nicht zwangsläufig zu vernünftigen Ergebnissen führen muss, war ja auch hierzulande jüngst zu besichtigen. Wenn die Mehrheit der Wähler aus falschen Motiven (Angst um den Zivildienst) heraus eine militärisch falsche Lösung (Beibehaltung der Wehrpflicht) wählt, kann man das nicht wirklich als Sternstunde der direkten Demokratie verstehen.
Das wird nicht besser dadurch, dass mit dem eherne Versprechen der beiden regierenden Parteichefs, das Ergebnis der Umfrage strikt umzusetzen, ja auch die parlamentarische Demokratie ganz ordentlich verhöhnt wurde. Denn so eine Zusage entmündigt das Parlament, das letztlich über die Frage der Wehrpflicht zu entscheiden hat. Oder wollten sie uns in Wahrheit kommunizieren, dass die frei gewählten Abgeordneten der beiden Regierungsparteien ohnehin so abstimmen werden, wie ihnen das von den Parteizentralen vorgegeben wird?
Treffen also gegebenenfalls tatsächlich die Abgeordneten die Entscheidung über die Wehrpflicht, dann war das Versprechen der beiden Parteichefs auf Umsetzung des Wählerwillens in Wahrheit ein ungedeckter Scheck, der leicht platzen kann. Können hingegen die Abgeordneten diese Frage aufgrund dieses Versprechens (und ohne je darüber abgestimmt zu haben) nicht mehr frei entscheiden, ist der Parlamentarismus ganz schön beschädigt worden - und zwar ausschließlich aus überschaubar redlichen tagespolitischen Gründen.
"Die direkte Demokratie", schreibt Herbert Lackner im "profil" der ihm nahestehenden SPÖ ins Stammbuch, "verhindert Veränderung und ist für Reformpolitik unbrauchbar."
Wenn das stimmt - wofür ja einiges spricht -, dann braucht die Politik nicht noch "mehr Demokratie", sondern Politiker, die mutig und kraftvoll Entscheidungen treffen, für die sie (wieder)gewählt werden oder auch nicht; in der Wiener Regierung genauso wie in Brüssel oder London.
Eine derartige Form des politischen Betriebes wäre vermutlich effizienter und ergebnisorientierter - "mehr Demokratie" bedeutete sie nicht. Das zu verschweigen oder gar zu bestreiten, hieße den Wähler zu pflanzen.
ortner@wienerzeitung.at