Seit Beginn der Corona-Pandemie sind mehr Arzneimittel eingeschränkt oder gar nicht mehr verfügbar.
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Angenommen, man leidet an fortgeschrittener Osteoporose und bräuchte eine Infusion mit Zoledronsäure, um den Knochengewebe-Abbau zu hemmen. Diese ist aber nicht erhältlich - und genau das ist derzeit der Fall. Laut dem Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (Basg) sind aktuell, Anfang März, bereits 308 Arzneimittel nicht oder nur eingeschränkt verfügbar. Diese Anzahl ist seit Beginn der Corona-Pandemie 2020 massiv gestiegen: Im gesamten Jahr 2019 waren es nur 323, im ersten Pandemiejahr dann bereits 1.096. Im Vorjahr waren es 788.
Eines dürfe dabei freilich nicht vergessen werden, heißt es vom Basg zur "Wiener Zeitung": "Seit 1. April 2020 sind Zulassungsinhaber respektive deren befugte Vertreter verpflichtet, jede Einschränkung der Vertriebsfähigkeit für die verschreibungspflichtigen Humanarzneispezialitäten elektronisch zu melden." Schon im ersten Quartal 2020, also vor dieser Neuerung, seien allerdings 194 Vertriebseinschränkungen gemeldet worden. Ein pandemiebedingter Effekt könne daher "nicht zur Gänze ausgeschlossen werden, da innerhalb des ersten Quartals 2020 bereits mehr als die Hälfte der Meldungen des Vorjahres eingingen".
Wesentlicher Akteur China
In Deutschland ist die Situation laut dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte ähnlich. Hier werden ebenfalls bereits rund 300 Medikamente als nicht oder nur eingeschränkt verfügbar gelistet. Die Gründe für den Anstieg sind hier und dort gleich: Eine wesentliche Veränderung habe sich zuletzt laut Basg bei Verzögerungen in der Herstellung und bei regulatorischen Änderungen gezeigt. Wohl vor allem pandemiebedingt, denn die Arzneimittelwirkstoffe werden aus Kostengründen zunehmend in Billiglohnländern wie China und Indien hergestellt.
China ist somit ein wesentlicher Akteur auf dem Markt für pharmazeutische Wirkstoffe. Aufgrund der derzeitigen Pandemie besteht laut Basg "die Gefahr, dass die verhängten Sperren und Reisebeschränkungen Auswirkungen auf die Produktion und Lieferung von Wirkstoffen und damit auf die Verfügbarkeit von Arzneimitteln für den globalen Markt haben".
Weitere Gründe für Lieferengpässe seien der Zusammenschluss von Pharmaunternehmen sowie der Parallelhandel. Durch Fusionen würden gewisse Wirkstoffe zunehmend nur noch von einem Unternehmen hergestellt und das oft auch nur mehr an einem einzigen Ort. Fällt dort die Produktion aus, fehlt das Arzneimittel auf dem gesamten Weltmarkt. Durch den Parallelhandel würden wiederum Produkte aus Ländern mit niedrigen Arzneimittelpreisen in Länder mit höheren Preisen exportiert, um so Gewinn zu machen. So kann es zu Lieferengpässen in Märkten mit niedrigeren Preisen kommen.
Die Wichtigkeit der nicht oder nur eingeschränkt verfügbaren Arzneimittel ist relativ: Braucht jemand eines von diesen, um gesund zu werden oder zu bleiben, kann es mitunter lebenswichtig sein. Dem Basg seien bisher aber noch keine Fälle gemeldet worden, "bei denen ein Patient aufgrund von Medikamenten-Lieferengpässen zu Schaden gekommen ist". In nahezu allen Fällen stünden wirkstoffgleiche Medikamente oder therapeutisch gleichwertige Ersatzpräparate mit gleicher Wirkung zur Verfügung.
Von den derzeit 308 im Vertriebseinschränkungen-Register für 2022 gelisteten Arzneimitteln habe man allerdings bei 168 "aus Gründen des Schutzes der öffentlichen Gesundheit" ein Parallelexportverbot ausgesprochen, heißt es. "Dabei wurden die Marktabdeckung, die Anzahl der betroffenen Patienten, die durchschnittlichen Verkaufszahlen, der errechnete Bedarf und Lagerbestand sowie verfügbare potenzielle alternative Arzneimittel für die Bewertung berücksichtigt."
Apotheker auf Lösungssuche
Die Apotheker suchen jedenfalls "nach Möglichkeiten, damit die medikamentöse Behandlung auch im Falle eines Lieferengpasses ohne Nachteile fortgesetzt werden kann", heißt es dazu von der Apothekerkammer auf Nachfrage. Im besten Fall könne auf ein Generikum, ein Nachahmerpräparat, ausgewichen werden. Im Einzelfall und wenn nicht anders möglich, besorgen die Apotheker die notwendigen Medikamente aus dem Ausland, falls sie dort erhältlich sind, oder stellen sie selbst individuell her. "Durch großes persönliches Engagement können so mehr als 90 Prozent der Lieferengpässe direkt in der Apotheke gelöst werden", heißt es.
Bereits im Vorjahr hatte der Rechnungshof auf Medikamentenengpässe hingewiesen und die Einrichtung einer speziellen Bewertungsinstanz für Medikamente im stationären Bereich empfohlen. Diese Stelle sollte neben der Preisregulierung auch dafür sorgen, dass es in Österreich keinen "Spitalstourismus" gibt, weil es je nach Bundesland unterschiedliche Beschaffungsformen gebe. Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) zufolge existiert die Bewertungsinstanz bereits als Pilotprojekt der Bundesländer. Eine Überführung in den Regelbetrieb sei geplant - die Kosten trage der Bund.