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Mehr Europa, mehr Jobs?

Von Reinhard Göweil

Wirtschaft

Ökonom Bofinger: "Eurozone ist nicht stabil, schwere Schocks würde sie nicht aushalten.


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Karl Aiginger (l.) ist Chef des österreichischen Wirtschaftsforschungsinstituts, Peter Bofinger (M.) ist einer der "Wirtschaftsweisen" in Deutschland, Markus Marterbauer (r.) ist Experte der Arbeiterkammer Wien (Collage).
© Universität Würzburg, Arbeiterkammer Wien

Wien. Mehr Europa? Weniger Europa? Den Euro stärken oder Rückkehr zu nationalen Währungen? Die Finanz- und Bankenkrise hat in Europa zu fundamentalen Diskussionen und einem veritablen Richtungsstreit geführt. Viele Bürger sind enttäuscht, sie machen das organisierte Europa, also die Europäische Union, verantwortlich für Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung und die Misere in Griechenland und Portugal. 27 Millionen Menschen sind derzeit arbeitslos in Europa, vor der Krise 2008 waren es 16 Millionen. Die Quote macht 11 Prozent aus. 20 Millionen Arbeitslose gibt es in der Eurozone, also jenen 18 Ländern, die mit der gemeinsamen Währung eng verbunden sind. "Hat die Eurozone eine soziale Zukunft?", fragte die Arbeiterkammer in Wien.

Steuerreform machbar

Karl Aiginger, Chef des heimischen Wirtschaftsforschungsinstitutes, hat - Budgetloch-Debatte hin oder her - eine relativ gute Nachricht für Österreich. "Wir sind sicher, dass es mit der Konjunktur aufwärts gehen wird." Drei Befragungen in den Unternehmen zufolge ist 2014 ein Wirtschaftswachstum von 1,5 bis 1,7 Prozent ziemlich wahrscheinlich. Negativ daran: Das ist zu wenig, um den Arbeitsmarkt zu entlasten, weswegen Deutschland im kommenden Jahr Österreich als das Land mit der niedrigsten Arbeitslosenquote in der EU ablösen dürfte.

Aiginger ist auch ein Freund der jüngsten EZB-Zinssenkung. "In den heimischen Unternehmen werden große Barreserven aufgebaut. Wir müssen dafür sorgen, dass dieses Geld auch investiert wird." Er hält auch eine Steuerreform kurzfristig für machbar, sie muss nur für das Budget aufkommensneutral gestaltet werden. Sein Vorschlag: Niedrige Einkommensbezieher erhalten einen Freibetrag auf die Sozialversicherungsbeträge, der Ausfall wird über eine Erhöhung der Tabak- oder Grundsteuer ausgeglichen. Damit könnte rasch das Credo von "mehr Netto vom Brutto" realisiert werden, da es den Beschäftigten egal sein wird, ob sie weniger Steuer oder geringere Sozialversicherungsabgaben zahlen. "Bei niedrigen Einkommen geht die Entlastung direkt in den Konsum, das Wachstum würde unterstützt." Aiginger kritisierte neuerlich, dass in den vergangenen Jahren kaum reale Lohnzuwächse zu verzeichnen waren, daher sei der Inlandskonsum schwach.

Skepsis über "GroKo"

Und er spricht sich für eine "Umwidmung" der öffentlichen Investitionen aus, die übrigens auf dem Niveau des Jahres 2000 verharren. "Forschung, Bildung und ganztägige Kinderbetreuung sind wichtiger als Straßenbau."

Peter Bofinger, Ökonom der Uni Würzburg und einer der "Wirtschaftsweisen" in Deutschland, die Gutachten für die Regierung in Berlin erstellen, ist für die in seinem Land ebenfalls laufenden Verhandlungen zu einer großen Koalition skeptisch. "Union und SPD haben gemeinsam 80 Prozent im Bundestag und die Mehrheit im Bundesrat (der Länderkammer, Anm. d. Red.). Damit wären große Würfe möglich, doch die sehe ich nicht im Moment. Es wird sich wohl nicht viel tun." Eine Einschätzung, die auch für Österreich von Wirtschaftsexperten geteilt wird.

Was also tun, um die Job-Misere zu beenden? Bofinger spricht sich klar für "mehr Europa" aus, beklagt aber auch, dass Medien eine zu negative Stimmung zu Europa aufgebaut haben. "Viele in Deutschland regen sich auf, weil sie nicht verstehen, für Griechenland zu haften. Niemand nimmt wahr, dass sich Deutschlands Budget wegen der exorbitant niedrigen Zinssätze jährlich 20 Milliarden Euro an Zinszahlungen erspart. Natürlich ist Deutschland ein Gewinner in der Eurozone." Bofinger wünscht sich eine rasche Umsetzung der Bankenunion, um den Staaten die Last von der Schulter zu nehmen, im Ernstfall erneut Milliardenhilfe zu leisten. "Und wir brauchen eine stärkere fiskalische Union, da sollten Kompetenzen auf europäische Ebene gehievt werden." Besonders optimistisch ist er da nicht. Weder Angela Merkel noch François Hollande bringen Europa jene Impulse, die von der deutsch-französischen Achse ausgehen sollten. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" skizziert er, was passieren würde, wenn sich die Fraktion "weniger Europa", also Rückführung von EU-Kompetenzen in die Nationalstaaten, durchsetzt. "Das jetzige System ist nicht stabil, eben weil die EU in manchen Bereichen keine Kompetenzen hat. Bei großen (wirtschaftlichen) Schocks kann es sein, dass das System sie nicht aushält." Und dann wäre der Euro auch weg, der bisher - nach seiner Darstellung - Gröberes verhindert hat. "Auch mit Peseten und Lire wäre in Spanien die Immobilienblase geplatzt und hätte Italien wegen seiner sinkenden Wettbewerbsfähigkeit Probleme bekommen. Das wäre uns nicht erspart worden. Spanien und Italien hätten ohne Euro ihre nationalen Währungen abgewertet und damit der Exportindustrie in Deutschland und Österreich schwer geschadet."

Exportgewinne nutzen

Apropos Exporte. Die stark verkürzte Darstellung, dass die EU-Kommission nun Deutschland auffordere, weniger zu exportieren, regt die Wirtschaftsexperten auf. Markus Marterbauer, Wirtschaftspolitiker der Arbeiterkammer: "Es geht nicht um die Exporte, sondern um die enormen Exportgewinne Deutschlands. Das Geld wird nicht in Europa investiert, um die Re-Industrialisierung voranzubringen, sondern auf den Kapitalmärkten verspekuliert. Davon hat niemand was, weder in Deutschland noch in Griechenland. Es geht um eine akkordierte EU-Politik, wohin das Geld gelenkt wird."

Gertrude Tumpel-Gugerell, ehemalige Direktorin der EZB, hätte auch schon ein Betätigungsfeld für das Geld. "Die Bewältigung der Finanzkrise ist bei den Banken noch lange nicht abgeschlossen. Viele Klein- und Mittelunternehmen kriegen daher nur schwer Kredite. Wir müssen also die Abhängigkeit der Betriebe von den Bankkrediten verringern, und andere Arten der Firmenfinanzierung entwickeln." Dazu allerdings bräuchte es mehr Europa, etwa die Entwicklung eines europäischen Risikokapitalmarktes mit EU-weiten Regeln, um Geld aus Deutschland in Griechenlands Realwirtschaft pumpen zu können. An mehr Europa führt für die Experten kein Weg vorbei, um die Arbeitslosenzahl zu reduzieren. Weiterwurschteln würde bedeuten, dass es wenigstens 15 Jahre dauern würde, um bei den Arbeitslosenzahlen wieder den Stand von 2008 zu erreichen.