Zehn Monate vor den Wahlen will David Cameron mit einem jüngeren, etwas weiblicheren Team in die Wahlschlacht ziehen.
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London. Mit einer überraschend radikalen Regierungsumbildung hat sich der konservative britische Premierminister David Cameron für die Unterhauswahlen seines Landes in zehn Monaten gerüstet. Zum einen hat der Tory-Premier seinem Team ein schärferes euroskeptisches Profil gegeben und einen Außenminister gewählt, der sich ein britisches Ausscheiden aus der EU ohne weiteres vorstellen könnte. Zum anderen hat er mehrere Frauen (und Mütter kleiner Kinder) ins Kabinett genommen und so versucht, rechtzeitig vor den Wahlen vom Image eines männerdominierten und sozial elitären Regierungs-Zirkels wegzukommen.
Die größte Überraschung bei der Regierungsumbildung löste der Abgang des bisherigen Außenministers William Hague aus. Hague, ein früherer Vorsitzender der Konservativen Partei, hatte sich in seinen Jahren im Foreign Office als relativ pragmatisch im Umgang mit der EU erwiesen. Er soll nun, als "Leader of the House", bis Mai nächsten Jahres die Regierungsgeschäfte im Unterhaus versehen. Anschließend will er, aus freien Stücken, aus der britischen Politik ausscheiden. Neuer britischer Außenminister wird Camerons bisheriger Verteidigungsminister Philip Hammond, ein 58-jähriger ehemaliger Geschäftsmann, der zu den reichsten Mitgliedern des Kabinetts zählt. Hammond hat in seiner Zeit als Verteidigungs-Chef relativ unangefochten Kürzungen im Militärbudget durchgezogen und den britischen Abzug aus Afghanistan organisiert.
Hammonds EU-Linie: Reformen - oder Austritt
Zur EU nimmt Hammond eine deutlich distanziertere Position ein als sein Vorgänger. Hammond will ohne Wenn und Aber aus der EU aussteigen, so die EU-Partner den Briten (bislang von London ungenannte) Reformen verweigern. Ein Referendum über Verbleib in oder Austritt aus der EU hat Cameron seinen Landsleuten für 2017 versprochen, so er nächstes Jahr wieder gewählt wird.
Zugleich mit der Ernennung Hammonds entließ Cameron eine ganze Reihe europa-freundlicher Minister und Staatssekretäre aus der Regierung - der prominenteste war der Kabinettsveteran Kenneth Clark, der schon unter Margaret Thatcher und John Major hohe Ministerämter bekleidet hatte und der zuletzt der einzige enthusiastische Pro-Europäer im Tory-Spitzenteam war. Auch andere, gemäßigt pro-europäische Regierungsmitglieder wie Fraktionschef Sir George Young oder Ex-Einwanderungs-Staatssekretär Damien Green haben ihre Posten verloren.
Damit und besonders mit der Ernennung Hammonds zum neuen Außenminister hat Cameron - just am Tag der Wahl Jean-Claude Junckers in Straßburg - "den Europäern" ein spezielles Signal übermittelt. Mit dem endgültigen Bruch mit der EU hatte William Hague, Hammonds Vorgänger, nie gedroht. Das war nicht seine Sprache.
Allerdings lässt sich die Ernennung Hammonds auch anders lesen - und zwar als eine clevere Taktik Camerons. Mit einem Euroskeptiker an seiner Seite, meinen manche Beobachter in London, werde es Cameron leichter fallen, seine Anti-Europäer zu einem noch immer von ihm erhofften Deal mit der EU zu überreden: Würde Hammond einen Deal abnicken, hätte das Gewicht bei den Tories.
Zäher Unterhändler Hill soll EU-Kommissar werden
Immerhin will Cameron ja auch keinen schroffen Anti-Europäer auf dem Posten des britischen EU-Kommissars sehen. Denn als britischen Kommissar nominierte er den 53-jährigen Whitehall-Insider und bisher wenig bekannten Parteimanager Lord (Jonathan) Hill of Oareford, der bisher im Oberhaus für die Tories tätig war. Baron Hill gilt nicht als konfrontativer Politiker, sondern als zäher und geschickter Unterhändler. Er soll nun eine Antwort auf die britische EU-Frage, und damit einen politischen Ausweg, finden. Hill ist aber selbst noch für seine Parteikollegen in Straßburg eine weitgehend unbekannte Größe.
Ein wenig eine Überraschung bei der Regierungsumbildung war die Ablösung des Bildungsministers Michael Gove, der sich als potenzieller Nachfolger Camerons verstanden hatte. Die beiden anderen Top-Minister, Schatzkanzler George Osborne und Innenministerin Theresa May, behielten ihre Posten. Sie gelten, zusammen mit dem Londoner Bürgermeister Boris Johnson und nun auch mit dem neuen Außenminister Hammond, als aussichtsreichste künftige Bewerber für den Spitzenposten. Neuer britischer Verteidigungsminister ist der Finanz- und Privatisierungsexperte Michael Fallon.
Mit gemischten Gefühlen quittierten britische Frauenverbände die Regierungsumbildung. Der Premier hatte eine dramatische Stärkung des Frauenanteils im Kabinett signalisiert. Zwar gab er das Bildungsressort an die 41-jährige Ex-Firmenanwältin Nicky Morgan und das Umweltressort an die 38-jährige frühere Shell-Managerin Liz Truss, zwei Tory-Nachwuchspolitikerinnen. Insgesamt verfügt das Kabinett aber immer noch über nur fünf Ressort-Leiterinnen, bei insgesamt 22 "vollen" Ministerposten. Eine Staatssekretärin soll künftig an Kabinettssitzungen teilnehmen dürfen. Ein halbes Dutzend Tory-Parlamentarerinnen rückte auf mittlere Ränge vor.
Cameron will offenbar Wahlen retten
In London wurde der Personalwechsel am Dienstag vor allem als Versuch Camerons gewertet, der Nation vor den nächsten Wahlen eine jüngere, frischere und etwas weiblichere Regierungs-Fassade zu bieten. Zehn Monate vor dem Urnengang ist der Wahlausgang noch völlig offen.
Seit dem Frühjahr halten sich den Umfragen zufolge Tories und Labour hartnäckig die Waage. Beide können zur Zeit etwa ein Drittel aller Wählerstimmen erwarten. Für eine absolute Mehrheit an Sitzen würde das keiner Seite reichen.
Cameron versucht nun mit einem weitaus EU-skeptischeren Kabinett das Momentum wieder für sich zu gewinnen. Doch seine neue Taktik, wenn es denn eine ist, birgt laut Beobachtern wieder neue Risiken, für London wie für die Europäische Union. Viele Briten haben das mulmige Gefühl, dass ihre Regierung mehr und mehr die Kontrolle über die Ereignisse verliert - und dass ihr Land tatsächlich, und sei es ungewollt, immer mehr auf den Austritt aus der Europäischen Union zuschlittert.