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Mehr Freiheit für wen?

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© Luiza Puiu

Die Abschaffung der kalten Progression ist die Gretchenfrage nach Staat oder Bürger für die Politik.


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Schneller als von der Bundesregierung wohl gedacht, drängt die massive Teuerung die Frage nach der Abschaffung der kalten Progression wieder auf die Tagesordnung. Dieses Vorhaben findet sich zwar im türkis-grünen Regierungsvertrag, wurde jedoch ein Opfer der ökosozialen Steuerreform. Jetzt zwingt die Inflation die Koalition erneut zum Wahrheitsbeweis.

Politisches Handeln lässt sich anhand unterschiedlicher Kategorien einteilen beziehungsweise bewerten. Eine der wichtigeren ist, ob Regierungen mit ihren Eingriffen in die Lebensverhältnisse die Autonomie der Menschen erhöhen oder ihre Abhängigkeit vom Staat vergrößern. Für sich genommen ist das eine neutrale Frage; nicht jeder Staat verfolgt die gleichen Absichten, und auch damit Menschen maximalen Nutzen aus maximaler Freiheit ziehen können, braucht es gewisse Voraussetzungen, über die nicht jeder und jede von vornherein verfügt.

Wie unterschiedlich ein- und dasselbe Projekt interpretiert werden kann, zeigt das bedingungslose Grundeinkommen: Diese Maßnahme, egal, wie man dazu steht, lässt sich als sozialstaatliches Schlaraffenland ausgestalten, in dem der Mensch von den Zwängen einer ausbeuterischen Lohnarbeit dank umfassender staatlicher Betreuung befreit wird, oder als liberales Projekt zur radikalen Verschlankung des Sozialstaats interpretieren, das die Unabhängigkeit der Menschen von staatlicher Bevormundung im Fokus hat.

Im ersten Modell stellt der Staat gratis Dienstleistungen zur Verfügung, im zweiten wird echtes Geld zur freien Verfügung überwiesen.

Bei der kalten Progression, bei der der Staat aufgrund der Preissteigerungsrate von wachsenden Einnahmen profitiert, geht es um die gleiche Frage: Sollen die Bürger automatisch von der kontinuierlich steigenden Steuerlast entlastet werden, oder soll das in den Händen der jeweiligen Regierungen in Form von regelmäßigen Steuerreformen liegen, die dann je eigene Prioritären setzen können? Beide Optionen können mit vernünftigen Argumenten aufwarten, doch am Ende läuft es auf die Frage hinaus, ob die Freiheit der Steuerzahler gestärkt werden soll oder eben die Verfügungsmacht des Staats.

In Österreich entspricht Letzteres den Traditionen der Zweiten Republik, und das quer durch alle bisherigen Regierungsparteien. Dass die höchste Teuerungsrate seit 40 Jahren daran etwas zu ändern vermag, ist kaum wahrscheinlich. Es wäre eine rare Premiere, dass die Politik selbst ihrem Handlungsspielraum freiwillig Grenzen setzt.